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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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und trotzdem nimmst du sie noch in Schutz! Als Nächstes wirst du wohl sagen, dass sie gar keine Strafe verdient hat.«
    »Hm, nein ... nein, das nicht«, sagte Matthew beklommen. »Ich denke, ein bisschen bestraft werden müsste sie schon. Aber sei nicht zu streng mit ihr, Marilla. Denk daran: Bisher hat ihr niemand gesagt, was richtig und falsch ist. Du ... du wirst ihr doch etwas zu essen geben?«
    »Meinst du, ich lasse sie verhungern?«, versetzte Marilla entrüstet. »Sie bekommt regelmäßig ihre Mahlzeiten. Ich bringe sie ihr selbst in ihr Zimmer. Aber sie bleibt solange dort oben, bis sie bereit ist, sich bei Mrs Lynde zu entschuldigen. Und dabei bleibt es, Matthew.« Frühstück, Mittag- und Abendessen gingen vorüber, doch Anne wollte immer noch nicht einlenken. Nach jeder Mahlzeit trug Marilla ein reichlich ausgestattetes Tablett in den Ostgiebel hinauf und brachte es später genauso voll wieder herunter. Matthew verfolgte dieses Geschehen mit besorgten Blicken. Hatte Anne überhaupt etwas gegessen?
    Als Marilla am Abend hinausging, um die Kühe von der Weide zu holen, schlüpfte Matthew - der heimlich hinter der Scheune gewartet hatte - wie ein Dieb in sein eigenes Haus und schlich die Treppe zum Ostgiebel hinauf. Auf Zehenspitzen tastete er sich den Flur entlang und hielt einige Minuten lang vor Annes Zimmertür inne, bis er genug Mut gefasst hatte, die Klinke herunterzudrücken.
    Anne saß auf einem Stuhl am Fenster und ließ ihre traurigen Blicke über den Garten streifen. Sie sah sehr klein und unglücklich aus. Matthews Herz fing bei diesem Anblick heftig an zu schlagen. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und kam auf Zehenspitzen zu ihr hinüber. »Anne«, flüsterte er, als hätte er Angst, dass jemand ihn hören könnte, »wie geht es dir, Anne?«
    Anne lächelte schwach. »Ganz gut. Ich träume viel und das hilft, die Zeit zu vertreiben. Natürlich ist es ziemlich einsam. Aber ich werde mich schon daran gewöhnen.«
    Anne lächelte wieder - tapfer sah sie den langen Jahren ihrer Gefangenschaft entgegen.
    Matthew schwieg betroffen. Doch dann erinnerte er sich wieder daran, dass er ihr sagen musste, weshalb er gekommen war - und zwar so schnell wie möglich, bevor Marilla von der Weide zurückkehrte. »Hm, Anne .. . meinst du nicht, dass du es besser schnell hinter dich bringen solltest?«, flüsterte er. »Früher oder später musst du es sowieso tun, weißt du. Marilla ist nämlich ein schrecklicher Dickkopf. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. . . Tu es lieber gleich, Anne, dann hast du es hinter dir.«
    »Mich bei Mrs Lynde entschuldigen, meinst du?«
    »Ja, entschuldigen, das ist das richtige Wort«, sagte Matthew eifrig. »Die Sache gerade biegen. Das ist es, was ich sagen will.«
    »Wenn ich dir damit einen Gefallen tun könnte . . .«, erwiderte Anne nachdenklich. »Für dich würde ich alles tun ... wenn du es wirklich willst...«
    »Natürlich will ich das. Unten ist es fürchterlich einsam ohne dich. Geh einfach hin und bring die Sache ins Reine. Dann ist alles wieder gut, Anne.«
    »Also schön«, sagte Anne ergeben. »Wenn Marilla kommt, werde ich ihr sagen, dass ich bereit bin.«
    »Das freut mich sehr, Anne - wirklich! Aber sag Marilla nichts davon, dass wir miteinander geredet haben. Ich musste ihr versprechen, mich nicht in deine Erziehung einzumischen.«
    »Keine zehn Pferde würden mir das Geheimnis entreißen«, versprach Anne feierlich. »Wie sollten Pferde überhaupt einem Menschen Geheimnisse entreißen, Matthew?«
    Doch Matthew war schon gegangen. Er flüchtete in die hinterste Ecke der Pferdeweide, um auf keinen Fall bei Marilla Verdacht zu erregen, die wenige Augenblicke später ins Haus zurückkam.
    »Marilla«, ließ sich eine klägliche Stimme auf dem Treppengeländer vernehmen.
    »Ja?«
    »Es tut mir Leid, dass ich so unbeherrscht war und rüde Dinge gesagt habe. Ich bin bereit, mich bei Mrs Lynde zu entschuldigen.«
    »Also gut.« Marilla ließ sich nicht anmerken, welch riesiger Stein ihr vom Herzen fiel. Sie hatte sich schon den Kopf darüber zerbrochen, was um alles in der Welt sie tun sollte, falls Anne nicht nachgeben würde. »Gleich nach dem Melken gehen wir zu ihr hinüber.«
    Und so machten sie sich ein wenig später auf den Weg: Marilla aufrecht und siegesbewusst, Anne in sich gesunken und niedergeschlagen. Doch je länger sie gingen, desto mehr hellte sich Annes Miene auf.
    »Woran denkst du, Anne?«, fragte Marilla

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