Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
Vom Netzwerk:
und nickte ganz leicht mit dem Kopf, wie um zu sagen: »Stellen Sie sich zu mir, ich möchte Ihnen etwas erzählen«, und seine ungekünstelte, lockere Herzlichkeit dabei, die einer viel älteren Bekanntschaft zu entspringen schien, als sie zwischen ihnen tatsächlich bestand, unterstrich das Einladende noch. Anne erhob sich und ging zu ihm. Das Fenster, an dem er stand, war durch die ganze Länge des Raums von dem Platz der beiden Damen getrennt, und wiewohl näher an Captain Wentworths Tischchen, doch nicht sehr nah. Als sie neben ihn trat, nahm Captain Harvilles Miene wieder den ernsten, gedankenvollen Ausdruck an, der seinem Wesen zu entsprechen schien.
    »Sehen Sie her«, sagte er, indem er ein kleines Päckchen in seiner Hand auffaltete und eine Miniatur enthüllte, »wissen Sie, wer das ist?«
    »Natürlich, das ist Captain Benwick.«
    »Ja, und Sie können sicher auch erraten, für wen es bestimmt ist. Aber« (mit belegter Stimme) »es wurde nicht für sie angefertigt. Miss Elliot, erinnern Sie sich an unseren Spaziergang in Lyme – wie wir ihn damals bedauert haben? Damals hätte ich mir nicht träumen lassen – aber nichts mehr davon. Das Bild ist am Kap gemalt worden. Er hatte am Kap einen begabten jungen deutschen Maler kennengelernt und ist ihm gesessen, weil er meiner armen Schwester versprochen hatte, ihr ein Bild von sich mitzubringen. Und jetzt bin ich beauftragt, es für eine andere rahmen zu lassen! An mich hat er sich damit gewandt! Aber wen hätte er sonst auchbitten sollen? Ich hoffe, ich kann es ihm nachsehen. Jedenfalls trete ich den Auftrag nur zu gern ab.
Er
übernimmt es für mich« – (mit einem Blick auf Captain Wentworth), »er schreibt deswegen gerade.« Und mit bebender Lippe schloß er seine Rede, indem er hinzufügte: »Arme Fanny! Sie hätte ihn nicht so bald vergessen!«
    »Nein«, erwiderte Anne leise und tiefempfunden. »Nein, das glaube ich auch nicht.«
    »Es wäre ihr nicht gegeben gewesen. Er hat ihr alles bedeutet.«
    »Es wäre keiner Frau gegeben, die wahrhaft liebt.«
    Captain Harville lächelte, wie um zu sagen: »Nehmen Sie das für Ihr Geschlecht in Anspruch?«, und sie beantwortete seine Frage, ebenfalls lächelnd: »Doch. Wir vergessen euch Männer nicht so rasch, wie ihr uns vergeßt. Das ist vielleicht mehr unser Schicksal als unser Verdienst. Wir können gar nicht anders. Wir verbringen unser Leben im Haus, abgeschirmt, eingeengt, wir sind unseren Gefühlen ausgeliefert. Ihr Männer seid zum Tätigsein gezwungen. Ihr habt immer einen Beruf, Zeitvertreibe, Geschäfte dieser oder jener Art, die euch gleich wieder in die Welt hinaussenden, und bei ständiger Beschäftigung und Abwechslung schwächen sich Eindrücke rasch ab.«
    »Selbst wenn ich Ihnen recht geben würde, daß die Welt so rasch diese Wirkung auf uns Männer hat – wozu ich eigentlich nicht bereit bin –, auf Benwick trifft das nicht zu. Ihn hat nichts zum Tätigsein gezwungen. Der Frieden hat ihn just zu dem Zeitpunkt an Land zurückgebracht, und seitdem lebt er bei uns, in unserem kleinen Familienkreis.«
    »Richtig«, sagte Anne, »ganz richtig, das war mir entfallen; aber was zeigt uns das, Captain Harville? Wenn nicht äußere Umstände den Wandel verursachen, kann er nur von innen kommen; es muß die Natur sein, die männliche Natur, die das Werk bei Captain Benwick vollbracht hat.«
    »Nein, nein, das ist nicht die männliche Natur. Ich kannnicht glauben, daß es den Männern mehr als den Frauen liegt, treulos zu sein und die zu vergessen, die sie lieben oder geliebt haben. Ich glaube das genaue Gegenteil. Ich glaube an eine echte Übereinstimmung zwischen körperlicher und seelischer Verfassung; und da unsere Körper die stärkeren sind, müssen auch unsere Gefühle die stärkeren sein und imstande, härtere Schläge auszuhalten und schlimmere Stürme abzuwettern.«
    »Eure Gefühle mögen die stärkeren sein«, entgegnete Anne, »aber genau dieses Prinzip der Übereinstimmung gibt mir das Recht zu behaupten, daß unsere die zarteren sind. Der Mann ist robuster als die Frau, aber langlebiger ist er nicht; was exakt meine Theorie über die Natur ihrer Zuneigungen bestätigt. Und es wäre ja auch zu furchtbar, wäre es anders! Ihr müßt auch so schon mit genügend Schwierigkeiten und Entbehrungen und Gefahren fertig werden. Immerfort müht und plagt ihr euch und seid Bedrängnis und Ungemach aller Art ausgesetzt. Eure Heimat, euer Land, eure Freunde, von alledem seid ihr getrennt. Zeit,

Weitere Kostenlose Bücher