Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Gesundheit, Leben, nichts davon gehört wahrhaft euch. Es wäre ein zu hartes Los« (ihre Stimme schwankte), »kämen dazu obendrein noch die Gefühle einer Frau.«
»In dieser Frage werden wir uns wohl nie einig –«, hob Captain Harville an, als ein kleines Geräusch ihr Augenmerk auf Captain Wentworths Ecke des Zimmers lenkte, aus der bisher kein Laut gedrungen war. Ihm war lediglich die Feder aus der Hand gefallen, aber Anne merkte erschreckt, daß er ein Stück näher saß, als ihr klar gewesen war, und hatte ihn halb im Verdacht, die Feder nur deswegen fallengelassen zu haben, weil er sich auf sie beide konzentrierte und ihre Worte aufzufangen suchte – vergeblich, wie sie dachte.
»Bist du fertig mit deinem Brief?« fragte ihn Captain Harville.
»Nicht ganz, noch ein paar Zeilen. In fünf Minuten bin ich soweit.«
»Von mir aus besteht keine Eile. Ich bin fertig, wann immer du es bist. – Ich liege hier sehr gut vor Anker« (mit einem Lächeln für Anne), »bestens versorgt, mir mangelt an nichts. – Ich muß nicht so bald Segel setzen. – Also, Miss Elliot« (er senkte die Stimme), »wie gesagt, in diesem Punkt werden wir uns wohl nie einig werden. Wahrscheinlich täten das kein Mann und keine Frau. Aber lassen Sie mich doch anmerken, daß alles Geschriebene gegen Sie spricht, alle Geschichten, ob in Prosa oder in Versen. Wenn ich ein Gedächtnis wie Benwick hätte, könnte ich Ihnen im Handumdrehen fünfzig Belege für meinen Standpunkt zitieren, und ich wüßte nicht, wann ich je ein Buch aufgeschlagen hätte, das nicht irgend etwas über die Unbeständigkeit der Frauen zu sagen hatte. Lieder, Sprichwörter, alle besingen sie den Wankelmut der Frau. Aber vielleicht sagen Sie mir jetzt ja, daß sie alle von Männern geschrieben wurden.«
»Vielleicht sage ich das. – Nein, bitte, berufen wir uns nicht auf Beispiele in Büchern. Die Männer hatten schon immer den Vorteil vor uns, ihre Geschichte selbst erzählen zu dürfen; immer war die Bildung auf ihrer Seite und die Feder in ihrer Hand. Nein, Bücher als Beweismittel scheiden aus.«
»Aber wie wollen wir dann etwas beweisen?«
»Gar nicht. In dieser Frage können wir nicht hoffen, irgend etwas zu beweisen. Es ist ein Unterschied in der Wahrnehmung, der ohne Beweise auskommen muß. Jede der Seiten beginnt im Zweifel mit einer Spur Parteilichkeit für das eigene Geschlecht, und diese Parteilichkeit untermauern wir mit sämtlichen Umständen zu ihren Gunsten, die uns jemals zur Kenntnis gelangt sind; wobei bestimmt viele dieser Umstände (und möglicherweise gerade die, die uns am zwingendsten erscheinen) solcherart sind, daß wir sie nicht ins Feld führen können, ohne jemandes Vertrauen zu mißbrauchen oder in sonst einer Weise etwas zu sagen, das besser ungesagt bliebe.«
»Oh!« rief Captain Harville voller Leidenschaft, »wenn ich Ihnen nur eine Ahnung davon geben könnte, was ein Mann durchmacht, wenn er ein letztes Mal seine Frau und seine Kinder sieht und dem Boot, mit dem er sie fortschickt, nachblickt, bis es endgültig verschwunden ist, und sich dann abwendet und sagt: ›Gott allein weiß, ob wir uns wiedersehen!‹ Und könnte ich Sie das Glühen in seiner Seele fühlen machen,
wenn
er sie dann wiedersieht – wenn er nach, sagen wir, einem Jahr zurückkommt, aber einen anderen Hafen anlaufen muß, und anfängt zu rechnen, wie rasch er sie dorthin schaffen kann, und sich zu überlisten versucht und sich sagt: ›Sie können nicht eher hier sein als …‹, und doch heimlich die ganze Zeit über hofft, daß sie zwölf Stunden früher anlangen, um sie schließlich, als hätte der Himmel ihnen Flügel verliehen, nochmals viele Stunden früher anlangen zu sehen! Wenn ich Ihnen alles dies nahebringen könnte – und all das, was ein Mann aushalten und leisten kann, und es mit Freuden tut um deretwillen, die ihm das höchste Gut auf Erden sind! Ich spreche natürlich nur von solchen Männern, die ein Herz haben« – und ergriffen drückte er die Hand auf das seinige.
»Ach«, sagte Anne lebhaft, »ich will Ihren Gefühlen, und den Gefühlen aller, die so sind wie Sie, auf gar keinen Fall unrecht tun. Gott behüte, daß ich die Herzenswärme und Treue meiner Mitmenschen gering veranschlage. Ich gehörte verachtet, wenn ich zu denken wagte, daß nur Frauen wahre Hinwendung und Beständigkeit kennen. Nein, in ihrem Eheleben traue ich den Männern alle nur erdenkliche Größe und Güte zu. Ich halte sie jeder bedeutenden Anstrengung, jeder
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