Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
dabei geschrieben hatte, wollte er keine Silbe zurücknehmen oder abschwächen. Er blieb dabei, er hatte keine andere als sie geliebt. Keine Frau hatte ihren Platz einnehmen können. Er hatte nie auch nur gewähnt, ihresgleichen zu sehen. Soviel immerhin mußte er zugeben: daß er unbewußt, ja unabsichtlich treu geblieben war; daß er versucht hatte, sie zu vergessen, und sich darin erfolgreich geglaubt hatte. Er hatte gemeint, gleichgültig zu sein, und war doch nur zornig gewesen; und er hatte ihre Tugendenverkannt, weil er daran zu leiden gehabt hatte. Jetzt stand ihr Wesen für ihn als der Inbegriff der Vollkommenheit fest, als die liebreizendste Verquickung von Standhaftigkeit und Sanftheit; aber, das konnte er nicht leugnen, erst in Uppercross hatte er sie neu zu würdigen gelernt, und erst in Lyme hatte er begonnen, sich selbst zu verstehen.
In Lyme war ihm mehr als nur eine Lektion erteilt worden. Mr. Elliots bewundernde Blicke hatten ihn erstmals wachgerüttelt, und die Ereignisse auf dem Cobb und dann später bei den Harvilles hatten alle anderen neben ihr verblassen lassen.
Was seine vorherigen Bemühungen um Louisa Musgrove anging (Bemühungen aus einem verletzten Stolz heraus), so wollte er von Anfang an gespürt haben, daß es nicht sein könne; daß ihm nichts an Louisa lag, nichts an Louisa liegen konnte; auch wenn ihm bis zu diesem Tag und der Zeit zur Besinnung, die folgte, weder die ganze Vollkommenheit des Charakters aufgegangen war, der sie Louisa so überlegen machte, noch die vollkommene, konkurrenzlose Macht, die sie über sein Inneres besaß. In Lyme hatte er den Unterschied zwischen Prinzipientreue und Halsstarrigkeit begriffen, zwischen dem Wagemut der Unbedachtheit und der Entschlußkraft eines gesammelten Geistes. In Lyme hatten Beobachtung um Beobachtung seine Wertschätzung der Frau, die er verloren hatte, in immer höhere Höhen steigen lassen; und in Lyme hatte ihn Reue gepackt über den Stolz, die Torheit, den dummen Groll, die ihn davon abgehalten hatten, neuerlich um sie zu werben, nun da ihre Wege sich abermals kreuzten.
Von diesem Zeitpunkt an hatte er schwer gebüßt. Kaum waren der Schrecken und die Gewissensqualen der ersten Tage nach dem Unglück von ihm abgefallen, kaum fühlte er sich wieder unter die Lebenden zurückgekehrt, da mußte er erkennen, daß er, wenn auch am Leben, so doch nicht frei war.
»Ich entdeckte«, sagte er, »daß ich in Harvilles Augen einverlobter Mann war! Daß weder Harville noch seine Frau an unserer gegenseitigen Zuneigung zweifelten. Ich war verblüfft und bestürzt. Bis zu einem gewissen Grad konnte ich es alles sofort widerlegen; aber als ich mir bewußt machte, daß andere es ebenso empfunden haben mochten – ihre Familie, ja vielleicht sie selbst –, war ich nicht länger mein eigener Herr. Wenn sie es wünschte, band mich meine Ehre an sie. Ich war unvorsichtig gewesen. Ich hatte nicht ernsthaft über die Sache nachgedacht. Ich hatte nicht bedacht, daß meine übermäßige Vertrautheit böse Folgen aller Art haben konnte – daß ich kein Recht hatte, auszuprobieren, ob mir eines der Mädchen taugen könnte, und damit üble Nachrede zu riskieren, wenn nicht sogar Schlimmeres. Ich hatte einen schweren Fehler begangen und mußte jetzt die Konsequenzen tragen.«
Kurzum, er hatte zu spät erkannt, daß er gefangen war – daß er sich nun, da er ganz klar sah, daß ihm Louisa nichts bedeutete, an sie gebunden fühlen mußte, wenn es denn um ihre Empfindungen für ihn so stand, wie die Harvilles dachten. Es hatte ihn veranlaßt, aus Lyme wegzugehen und ihre vollständige Genesung anderorts abzuwarten. Er wollte gern alles tun, was der Anstand erlaubte, um jedwede Gefühle oder Mutmaßungen rund um seine Person abzuschwächen, und er war darum zu seinem Bruder gefahren, um zu gegebener Zeit nach Kellynch zurückzukehren und zu handeln, wie die Umstände es erforderten.
»Ich blieb sechs Wochen bei Edward«, sagte er, »und erlebte ihn als einen glücklichen Mann. Andere Freuden hatte ich keine. Ich verdiente auch keine. Er hat sich ganz besonders nach dir erkundigt, sogar ob du dich äußerlich verändert hättest, wollte er wissen – er konnte nicht ahnen, daß du dich in meinen Augen gar nicht verändern kannst.«
Anne lächelte und sagte nichts. Es war ein zu wohltuender Lapsus, um ihn zu monieren. Keine Frau in ihrem achtundzwanzigsten Jahr läßt sich ungern versichern, daß sie nichteinen ihrer früheren Reize verloren hat; doch
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