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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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überwältigt mich geradezu. Ich wünschte, die Natur hätte Herzen wie das Deine in größerer Zahl geschaffen, aber ich lebe nun schon dreiundzwanzig Jahre auf dieser Welt, und mir ist kein zweites begegnet. Im Moment habe ich Deine Dienste aber gottlob nicht not, denn ich bin wieder bei Kasse. Du darfst mich beglückwünschen: ich habe Sir Walter und die Miss vom Hals. Die beiden sind wieder in Kellynch und haben mir regelrecht den Eid abgenommen, daß ich sie diesen Sommer besuche, aber wenn ich jemals nach Kellynch komme, dann mit einem Landvermesser, der mir sagt, wie ich es mit dem größten Gewinn unter den Hammer bringe. So oder so kann es passieren, daß der Baronet sich wieder verheiratet; dumm genug ist er. Sollte er das tun, werden sie mich aber immerhin in Frieden lassen, was den Verlust der Anwartschaft mehr als aufwiegt. Er ist noch schlimmer als letztes Jahr.
    Wenn ich bloß anders hieße als Elliot. Ich kann den Namen nicht mehr hören! Mein ›Walter‹ zumindest kann ich ablegen, Gott sei’s gedankt, und so bitte ich Dich, beleidige mich nie mehr mit meinem zweiten W., denn für den Rest meines Lebens bin ich nur noch Dein unverbrüchlicher
    Wm. ELLIOT.«

    Eine solche Lektüre mußte Anne das Blut ins Gesicht treiben; und Mrs. Smith, die ihre glühenden Wangen sah, sagte:
    »Die Sprache ist hochgradig respektlos, ich weiß. Auch wenn mir die einzelnen Wendungen entfallen sind, an den Inhalt erinnere ich mich lebhaft. Aber es zeigt Ihnen seinen Charakter. Beachten Sie die Beteuerungen, die er meinem armen Mann macht. Könnte irgend etwas nachdrücklicher sein?«
    Anne kam nicht gleich über die Bestürzung und Kränkung hinweg, solche Worte über ihren Vater zu lesen. Sie mußte sich erst bewußt machen, daß sie hier ja gegen das Briefgeheimnis verstieß – daß kein Mensch nach derlei Aussagen beurteilt oder gewürdigt, keine private Korrespondenz je den Augen Fremder ausgesetzt werden sollte –, ehe sie sich hinreichend wieder in der Gewalt hatte, um den Brief, auf den sie hinabgestarrt hatte, zurückzureichen und zu sagen:
    »Danke. Das ist Beweis genug, ohne Zweifel, Beweis für alles, was Sie sagten. Aber warum zählt unsere Bekanntschaft nun plötzlich doch?«
    »Ich kann auch das erklären«, rief Mrs. Smith lächelnd.
    »Ja, meinen Sie?«
    »Ja. Ich habe Ihnen Mr. Elliot gezeigt, wie er vor einem Dutzend Jahren war, und ich werde ihn Ihnen so zeigen, wie er jetzt ist. Einen schriftlichen Beweis habe ich diesmal nicht, aber dafür ein so glaubwürdiges mündliches Zeugnis für alles, was er jetzt will und tut, wie Sie es sich nur wünschen können. Jetzt heuchelt er nicht. Er will Sie wahrhaftig heiraten. Seine derzeitigen Aufmerksamkeiten Ihrer Familie gegenübersind ganz aufrichtig, ganz von Herzen kommend. Und ich nenne Ihnen auch meinen Gewährsmann: seinen Freund Colonel Wallis.«
    »Colonel Wallis! Kennen Sie ihn denn?«
    »Nein. Ganz so geradlinig gelangt meine Kunde denn doch nicht zu mir, sie nimmt einen Umweg oder auch zwei, aber nichts von Bedeutung. Der Strom fließt so klar wie an der Quelle; das bißchen Unrat, das er unterwegs ansammelt, ist schnell abgeschöpft. Mr. Elliot spricht mit Colonel Wallis freimütig über seine Absichten im Hinblick auf Sie – wobei mir besagter Colonel Wallis für sich genommen ein recht vernünftiger, umsichtiger, urteilsfähiger Mann zu sein scheint; doch Colonel Wallis hat eine hübsche und törichte Frau, der er Dinge erzählt, die er besser für sich behielte, und so vertraut er ihr alles dies an. Sie, in dem übersprudelnden Rededrang ihrer Genesung, erzählt es alles ihrer Pflegerin weiter, und die Pflegerin, die um meine Bekanntschaft mit Ihnen weiß, erzählt es naturgemäß mir. Soweit hat mich also meine gute Mrs. Rooke am Montagabend in die Geheimnisse der Marlborough Buildings eingeweiht. Als ich daher vorhin von einer ganzen Geschichte sprach, war das nicht so hochgegriffen, wie Sie dachten.«
    »Meine liebe Mrs. Smith, das reicht nicht. Ihre Quelle gibt nicht genug her. Daß Mr. Elliot irgendwelche Absichten in bezug auf mich hegt, erklärt noch nicht, warum er sich so dringend mit meinem Vater aussöhnen wollte. Das war ja, bevor ich nach Bath kam. Bei meiner Ankunft verkehrten sie schon längst in größter Eintracht.«
    »Das weiß ich; das weiß ich alles genau, aber –«
    »Wirklich, Mrs. Smith, auf solch einem Weg dürfen wir uns keine verläßlichen Erkenntnisse erwarten. Wenn Tatsachen oder Meinungen durch so viele

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