Anne Frasier
durchsickern ließen, wurden im Gegenzug von der Polizei respektiert. Im Austausch für ihre Kooperation erhielten sie manchmal Hauptrollen bei der Ermittlung. Bekamen manchmal exklusive Informationen, die letztendlich zu einer großartigen Karriere im Zeitungsgeschäft führen konnten.
Abraham wollte Zeit schinden und fragte: »Wie ist Ihr Name?«
Der Reporter deutete auf den Plastik-Presseausweis, der an seinem Hemd hing, als könnte Abraham den aus zehn Meter Entfernung lesen.
»Alex Martin, Sit«
Genervt und erschöpft gab Abraham seine Antwort. »Im Moment gibt es keine Beweise für irgendeine Verbindung zwischen diesem Mord und den Morden von vor sechzehn Jahren. Nächste Frage.« Er löste seinen Blick von dem neuen Reporter.
»A-aber, Sir«, stammelte Alex und hob die Hand.
Superintendent Sinclair ignorierte ihn, stattdessen wandte er sich an einen der älteren Reporter.
Die Behandlung verärgerte Alex so sehr, dass er auf seinem Stuhl saß, an den Nägeln kaute, sich ärgerte und nicht weiter zuhörte. Zehn Minuten später riss er sich zusammen, als Detectiv Irving ans Podium trat.
Alex machte sich bereit auf noch mehr blödes, lästiges Gequatsche.
»Was ist mit dem FBI?«, fragte jemand.
»Die Außenstelle des FBIs in Chicago beschäftigt sich mit dem Fall«, entgegnete Max Irving.
»Besteht die Absicht, weitere Agenten hinzuziehen?«
»Im Moment nicht. Wir haben einen eigenen ausgezeichneten Profiler, Special Agent David Scott, der in den letzten vier Jahren geholfen hat, mehrere Verbrecher zu fassen«, erklärte ihnen Irving. »Er ist erstaunlich erfolgreich.«
»Aber er ist ganz allein. Hat er nicht zu viel zu tun?«
Die Reporterin, Victoria Price-Rand, hatte ein bekanntes Problem angesprochen. Alle Mitarbeiter der Polizei und des FBIs waren überlastet. Das Letzte, was Max gehört hatte, war dass Agent Scott hundertfünfzig verschiedene Mordfälle bearbeiten sollte. Max selbst hatte etwa dieselbe Anzahl auf dem Schreibtisch. Zu viele Verbrechen, nicht genug Polizisten, nicht genug Laborplätze, nicht genug Leute. Und es würde schlimmer werden. DNA-Labore konnten mittlerweile innerhalb von zwei Wochen Ergebnisse liefern, das war viel schneller als frühem aber die Techniker waren so überlastet, dass es immer noch Monate dauern konnte, bis man seine Berichte bekam.
Und dass ein FBI-Agent aus Quantico hergeschickt wurde - nun, das würde allerhöchstens passieren, wenn dieser neue Fall doch noch mit den Madonna-Morden in Verbindung gebracht werden konnte.
Zwei Stunden später saß Alex Martin mitten im Newsroom, und seine Finger flogen über die Tastatur, er tippte eine wütende Tirade gegen Superintendent Sinclair und regte sich dabei immer mehr auf.
Um ihn herum saßen Reporterkollegen vor ihren Computern, die Tasten klickten, Telefone klingelten, Drucker spuckten Geschichten von den Agenturen aus.
Journalisten, die von der Uni kamen, stellten sich immer vor, dass sie große Reportagen schreiben würden. Oder Kommentare. Oder eine Kolumne, die sich um das Leben drehte, die Vereinigten Staaten, die Welt an sich. Eine Kolumne, mit der man berühmt werden konnte, und dann würden die Leser gespannt auf den nächsten geistreichen Artikel warten.
Davon träumten Journalisten, und natürlich von einem Milliardenvertrag für den großen amerikanischen Roman. Kein Mensch sagte jemals: Ich werde über Highschool-Basketball schreiben. Ich werde Nachrufe schreiben - die verteufelt schwer hinzukriegen waren. Das wusste Alex, denn so hatte er angefangen. Und keiner sagte, ich geh an die Uni und mach einen Abschluss in Journalismus, damit ich auf Polizeiwachen rumsitzen, die Tagesberichte voller häuslicher Streitigkeiten, öffentlicher Trunkenheit und banaler Verkehrsverstöße durchsehen und dann darüber schreiben kann.
Tag für Tag für Tag.
So bekam man keinen Pulitzer. Nein, um einen Pulitzer zu kriegen, musste man graben, immer weiter graben, man musste alles enthüllen, was zu enthüllen war; man musste Licht in jede Ecke bringen.
Er arbeitete sich hoch, das wusste er, aber er wollte eine Story. Eine richtige, gottverdammte Story. Er wusste auch, dass das nicht passieren würde, denn die Bullen hatten ihre Lieblingsreporter, mit denen sie schon seit Jahren arbeiteten. Die bekamen die Storys, die bekamen sie exklusiv. Nicht jemand wie er. Das war auch wieder klar geworden, als Sinclair ihn vor seinen ganzen Kollegen ignoriert hatte. Es war schwierig genug, sich den Respekt der Kollegen
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