Anne Frasier
Cola-Coke.«
»Was ist mit Sprite?«, fragte Ivy. »Oder Mountain Dew?«
»Nein, ich glaube, bloß dunkles Soda. Alle dunklen Erfrischungsgetränke sind Coke.«
»Oh.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas, stellte es dann vorsichtig zurück auf die Serviette. Hinter ihr warf jemand Geld in die Jukebox, und die Stimme Billie Holidays erklang.
Ivy spielte mit einer Ecke ihrer Serviette. »Was machen Sie hier?«, fragte sie schließlich.
»Ich hab's satt«, sagte er ohne zu zögern, die Stimme schwer von der Last, die er trug. »Ich hab's satt, dass dieser Scheiß, dieser furchtbare, entsetzliche Scheiß mein Leben zerstört.« Er lachte bitter.
Jetzt, wo er angefangen hatte zu reden, schien es, als könnte er nicht wieder aufhören. Alkohol konnte diese Wirkung haben. Dann sagten und gestanden Leute Dinge, die sie normalerweise für sich behielten.
»Und welches Leben überhaupt?«, sagte er, untermalt von der Musik. »Ich habe gar kein Leben. Ich kann kein normales Leben leben. Wie redet man mit jemandem über seine Lieblingsfernsehsendung oder einen neuen Film, wenn Babys umgebracht werden? Und es wird nicht aufhören. Wenn dieser beschissene Fall je geklärt wird, dann gibt es einen anderen der seinen Platz einnimmt. Denn die Verrücken sind überall.«
»So sieht es nur aus, weil Sie mittendrin stecken.«
Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wie viele ungelöste Mordfälle ich auf dem Tisch habe? Über fünfhundert. Es gibt kein Entkommen. Ich hab versucht, Alkoholiker zu werden, wie die Hälfte der Leute in der Mordkommission, aber das hat nicht funktioniert. Wie machen die das? Sich jeden Abend besaufen? Ich wollte es auch, aber dann konnte ich am nächsten Tag nicht arbeiten.«
Er wechselte das Thema. »Wie machen Sie das?«, fragte er. »Sie scheinen den Fall beinahe zu genießen. Ist das, weil Sie ihm entkommen sind? Gibt Ihnen das eine Art innere Stärke? Ein Gefühl von Macht statt dieser ... dieser stinkenden Verzweiflung? Der Hoffnungslosigkeit?«
Sie ließ ihn reden. Sie bezweifelte, dass er zugehört hätte, wenn sie etwas gesagt hätte.
»Als ich anfing, war ich Idealist, das gebe ich zu. Und außerdem ein Macho.« Er unterbrach sich und konzentrierte sich auf etwas, was weiter weg war als die Wände einer Kneipe in Chicagos Innenstadt. »Ich glaube, nichts ist so, wie es aussieht, wenn man es von außen sieht. Aber Sie ...« Er zeigte mit dem Finger auf sie, betonte, was er zu sagen hatte. »Sie haben persönliche Gründe. Dafür, hier zu sein und zu tun, was Sie tun. Das verstehe ich. Das ergibt einen Sinn. Aber ich ...« Er legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf seine Brust, plötzlich ein Mann der großen Gesten, ein Mann, der mit den Händen redete, höchstwahrscheinlich der eindeutigste Hinweis, dass er vollkommen besoffen war. »Ich ... ich hab mir diesen ganzen Scheiß freiwillig in mein Leben geholt.«
Er nahm einen Schluck von ihrer Cola, stellte das Glas zurück und kaute auf einem Eiswürfel. »Ich sollte verdammt noch mal abhauen«, sagte er überzeugt, als wäre das etwas, worüber er länger als die letzten paar Stunden nachgedacht
hatte. »Ich sollte mir meinen Sohn schnappen und irgendwohin abhauen. Irgendwohin, wo es solchen Wahnsinn nicht gibt. Oh. Ich hab's vergessen«, sagte er mit demselben Sarkasmus, den sie am Morgen im Park bemerkt hatte. »So einen Ort gibt's ja nicht. Ich bin verseucht. Und wenn ich heimfahre, dann verseuche ich alle anderen. Ich nehme es mit heim zu meinem Sohn.«
Er trank sein Bier leer, aus der Flasche statt aus dem Glas dann sah er Ivy an. Sein Alkoholspiegel musste hart an der erlaubten Grenze sein, aber er wirkte nicht sonderlich betrunken. In seinen dunklen Augen lag Klarheit, Entschlossenheit. »Ich denke darüber nach, die Mordkommission zu verlassen, wenn das alles vorüber ist.«
»Sie müssen nach Hause gehen und sich ausschlafen«, sagte sie. »Ich rufe Ihnen ein Taxi.«
»Sie glauben, ich werde nach Hause fahren und schlafen? Schlaf. Was zum Teufel ist das?«, fragte er; seine Gedanken kamen vom Kurs ab, nahmen einen anderen Weg. Aber schnell erinnerte er sich wieder an sein ursprüngliches Thema. Er packte ihre beiden Hände, drehte sie mit der Handfläche nach oben. Mit den Daumen fuhr er über die Narben auf ihren Handgelenken. Er löste seinen Blick nicht von ihrem und sagte: »Wir erwischen dieses Schwein, oder?«
»Ja.« Sie musste daran glauben.
Er war zu sensibel für diesen Beruf. Sie konnte es in seinen
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