Anne Frasier
Erleichterung, so ein Gefühl der Freiheit.
»Nicht mehr hinter der Bar stehen«, sagte er. »Nicht mehr hin und her eiern. Zu Hause. Die Bar. Zu Hause. Bar. Verstehst du?«
»Hau ab.«
»Ich will noch was trinken.«
»Du kriegst nichts mehr zu trinken, und jetzt hau ab, bevor ich die Bullen rufe.«
Er deutete mit dem Finger auf den Barkeeper. »Du weißt nicht, mit wem du redest.« Er beugte sich vor. »Ich bin wer.«
Der Barkeeper lachte ihm ins Gesicht. »Verpiss dich, du Psycho. Mir machst du keine Angst. Du bist auch bloß so ein Loser.« Er griff nach dem schnurlosen Telefon und begann zu wählen.
Der Mörder der Babys, der Mörder der Mütter, erhob sich im Wissen, dass er die Macht Gottes in Händen hielt. »Ich gehe.«
Er taumelte aus dem Gebäude, ließ sich in seinen Wagen fallen, den er einen Block entfernt geparkt hatte. Da saß er im Dunkeln und beobachtete, wie die letzten Kunden aus der Bar stolperten. Mit laufendem Motor sah er zu, wie die Lichter ausgingen, eines nach dem anderen. Schließlich kam der Barkeeper aus dem Haus, schloss ab, ging über den Gehweg in seine Richtung.
Er stemmte sich auf das Gaspedal. Der Motor brüllte, der Wagen schoss geradeaus. Mit einem dumpfen Geräusch traf der linke Kotflügel den Barkeeper, ließ ihn über die Motorhaube schießen, und dann landete er als wirres Häufchen nahe dem Gehweg auf der Straße.
Was hatte er getan? Was war geschehen?
Außer Kontrolle.
Außer Kontrolle.
Was jetzt? Der Mann würde reden. Er würde ihn anzeigen.
Er wendete und fuhr zurück zu dieser lächerlichen, wertlosen Lebensform, die versuchte, davonzukriechen. Er überfuhr ihn noch einmal, Knochen knirschten. Dann wieder und wieder, bis er schließlich davonfuhr.
Er schaute in den Rückspiegel. Es war spät; die Straßen waren verlassen.
Er bog auf den Interstate und fuhr fünfzehn Meilen gen Norden, dann hielt er an einer Autowaschanlage, schloss die Tür hinter sich. Zügig steckte er Geld in die Maschine, stellte die Wählscheibe auf Heiß/Schaum. Mit der Hochdruck-Sprühpistole zielte er auf den Wagen, spülte die Reste ab, das Wasser sammelte sich rosa zu seinen Füßen. Danach fuhr er heim, schlich leise ins Haus durch die Seitentür, die direkt in den Keller führte. Er streifte seine blutigen Schuhe ab, dann kroch er ins Bett, schaukelte sich in den Schlaf, lutschte am Daumen, in Gedanken schalt er sich: Außer Kontrolle. Außer Kontrolle.
Donnern auf dem Boden über ihm weckte ihn. Er sah auf die Uhr: 11:45 vormittags. Er sprang aus dem Bett, sein Herz raste, das Donnern hielt an. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden, auf den Beton, er hielt sich seinen verkaterten Kopf. Verwirrt. Er war verwirrt. Kann mich nicht erinnern. Kann mich nicht erinnern.
Letzte Nacht. Er konnte sich erinnern, dass sie ihn zum Bierholen geschickt hatte. Statt zurückzukommen, hatte er
ihr Geld ausgegeben. Hatte sich betrunken. Kein Wunder, dass sein Kopf so schmerzte, kein Wunder, dass er nicht denken konnte. Kein Wunder, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte.
Und jetzt war sie wach und wütend. Nicht sediert, aber doch ans Bett gefesselt, würde sie wissen wollen, was er mit ihrem Geld gemacht hatte. Sie würde ihn anbrüllen, anschreien. Drecksjunge. Dreckiger Drecksjunge.
32
Regina Hastings liebte Chicago - sie hatte ihr ganzes Leben hier verbracht, aber die Hitze war erdrückend. Sie sollten den Polizisten erlauben, Shorts zu tragen, so wie in Florida.
Sie war südlich von Chinatown aufgewachsen, in einer Gegend, die man als einen der Bungalowgürtel Chicagos bezeichnete. Die Häuser waren klein, die Grundstücke waren klein, und die meisten Leute hatten keine Klimaanlagen. Aber Kindern fällt so was nicht auf.
Sie überprüfte die Adresse in ihrem Notizbuch, bremste ihren Corolla ab, um die Hausnummern lesen zu können. Sie befand sich auf der Südseite des fünfundzwanzigsten Distrikts, in einer Gegend, die sie nicht kannte. Ihre Einsatzgebiete hatten bisher immer nördlich der Grand gelegen. Da war Hanks, eine Kneipe, in der vor ein paar Tagen ein brutaler Mord stattgefunden hatte.
Sie hatte den Madonna-Mörder so satt. Am Anfang war sie stolz gewesen, als man sie ausgesucht hatte, an den Ermittlungen teilzunehmen. Sie hatte gedacht, das würde lustig werden, interessant, eine Abwechslung von der Routine der Spontaneinsätze, ganz abgesehen von den Überstunden und dem Geld dafür. Aber gottverdammt, sie bekam immer die langweiligsten Aufgaben. Wenn
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