Anne in Avonlea
Wasser, damit sie es selbst sehen konnten. Oh, nicht an der Quelle, aus der wir trinken«, sagte er, als er Marillas entsetzten Blick sah, »an der kleineren weiter unten. Das Ufer ist sehr glitschig. Paul landete direkt im Wasser. Ich kann euch sagen, das gab einen mordsmäßigen Platscher! Oh, Anne, Anne, das wollte ich nicht sagen ... es ist mir nur so herausgerutscht. Das gab einen phantastischen Platscher! Er sah furchtbar komisch aus, als er herauskletterte, er war triefnass und voller Schlamm. Die Mädchen konnten sich nicht mehr halten vor Lachen, bis auf Gracie. Ihr tat es Leid. Gracie ist nett, aber sie hat eine Stupsnase. Wenn ich groß genug bin, um eine Freundin zu haben, will ich keine mit einer Stupsnase. Ich suche mir eine, die eine genauso schöne Nase hat wie du, Anne.«
»Einen jungen, der sich beim Puddingessen das Gesicht mit Sirup bekleckert, den sehen Mädchen nicht einmal an«, sagte Marilla streng. »Bevor ich mir eine Freundin suche, wasche ich mir das Gesicht«, wandte Davy ein und versuchte die Flecken abzuwischen, indem er sich mit dem Handrücken übers Gesicht rieb. »Ich wasch mir auch die Ohren, ohne dass man es mir sagen muss. Heute Morgen hab ich auch daran gedacht, Marilla. Ich vergesse es nur mehr halb so oft wie früher. Aber«, seufzte Davy, »man hat so viele versteckte Ecken an sich, dass man fast nicht an alle denken kann. Also, wenn ich nicht mit zu Miss Lavendar darf, gehe ich Mr Harrison besuchen. Mrs Harrison ist furchtbar nett, kann ich euch sagen. In der Speisekammer hat sie für kleine Jungen ein Glas mit Bonbons stehen. Außerdem darf ich immer die Reste aus der Schüssel kratzen, in der sie Pflaumenkuchen zubereitet. An den Seiten kleben immer noch ganz viele Pflaumen, müsst ihr wissen. Mr Harrison war auch immer nett, aber seit er wieder verheiratet ist, ist er noch mal so nett. Heiraten macht die Leute scheint’s netter. Warum heiratest du nicht, Marilla? Das will ich wissen.«
Dass sie nicht verheiratet war, war nie ein heikles Thema für Marilla gewesen. Also antwortete sie liebenswürdig, wobei sie mit Anne viel sagende Blicke austauschte, das läge wohl daran, dass niemand sie hätte heiraten wollen.
»Vielleicht hast du ja auch nie jemanden gefragt, ob er dich heiraten will«,wandte Davy ein.
»Oh, Davy«, sagte Dora artig, die vor Schock etwas sagte, ohne dass sie gefragt worden war, »der Mann muss einen fragen.«
»Warum immer die Männer«, brummte Davy. »Als ob alles auf der Welt die Männer erledigen müssen. Kann ich noch etwas Pudding haben, Marilla?«
»Du hast schon mehr als genug gehabt«, sagte Marilla, aber sie gab ihm noch eine bescheidene Portion.
»Ich wollte, man könnte sich von Pudding ernähren. Warum eigentlich nicht, Marilla? Das will ich wissen.«
»Weil man bald keinen Pudding mehr sehen könnte.«
»Das würde ich gern ausprobieren«, sagte Davy zweifelnd. »Aber immer noch besser an Festtagen und wenn Besuch da ist, Pudding zu bekommen als gar nicht. Bei Milty Boulter gibt’s nie welchen. Milty sagt, wenn Freunde ihn besuchen, gibt seine Mutter ihnen Käse, den sie selbst aufschneidet. Eine Scheibe für jeden und eine extra für gutes Benehmen.«
»Wenn Milty Boulter so von seiner Mutter spricht, brauchst du es ihm noch lang nicht nachzumachen«, sagte Marilla scharf.
»Du meine Güte«, - den Ausdruck hatte Davy von Mr Harrison und benutzte ihn mit Vorliebe -, »Milty hat es als Komplott gemeint. Er ist schrecklich stolz auf seine Mutter, weil alle sagen, sie könnte auf dem Trockenen sitzen und würde trotzdem was zu essen beschaffen.«
»Die verflixten Hühner sind doch schon wieder in meinem Stiefmütterchenbeet«, sagte Marilla, stand auf und ging schnell hinaus.
Die verflixten Hühner waren nicht im Stiefmütterchenbeet. Marilla warf nicht einmal einen Blick hin. Stattdessen setzte sie sich auf die Kellerklappe und lachte, bis sie sich über sich selbst schämte.
Als Anne und Paul am Nachmittag beim Steinhaus ankamen, waren Miss Lavendar und Charlotta die Vierte im Garten. Sie jäteten, rechten, schnitten und stutzten zurecht, als ginge es ums liebe Leben. Miss Lavendar, die kess und hübsch aussah in ihren geliebten Rüschen und Spitzen, ließ die Gartenschere fallen und lief freudig ihrem Besuch entgegen. Charlotta die Vierte grinste fröhlich. »Willkommen, Anne. Ahnte ich es doch, dass du heute kommst. Du machst diesen Nachmittag komplett. Dinge, die zusammengehören, kommen auch zusammen. Welchen Ärger
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