Anne in Avonlea
zurück zu den praktischen Dingen des Lebens. »Dafür steht er schon auf viel zu festen Füßen, vor allem, seit die älteren Leute sich so dafür begeistern. Denk nur mal, was sie den Sommer alles wegen der Anlagen und Wege in Angriff nehmen wollen. Außerdem werde ich in Redmond nach Anregungen Ausschau halten, es nächsten Winter aufschreiben und herschicken. Sieh nicht alles so düster, Diana. Verdirb mir jetzt nicht den Spaß und die Freude. Später, wenn ich fort muss, werde ich mich sowieso nicht sehr glücklich fühlen.«
»Du hast allen Grund dich zu freuen. Du gehst aufs College, verlebst eine schöne Zeit und lernst einen Haufen netter neuer Leute kennen.«
»Hoffentlich«, sagte Anne nachdenklich. »Die Möglichkeit dazu zu haben, das macht das Leben faszinierend. Aber wie viele ich auch kennen lerne, sie werden mir nie so lieb sein wie meine alten Freunde. Vor allem nicht wie ein gewisses Mädchen mit schwarzen Augen und Grübchen. Kannst du dir denken, wer, Diana?«
»Aber in Redmond gibt es so viele gescheite Mädchen«, seufzte Diana. »Ich bin nur ein dummes Mädchen vom Lande, das manchmal >verstehste< sagt, auch wenn ich es besser weiß. Sicher, die letzten zwei Jahre waren einfach zu schön, sodass sie noch länger andauern könnten. Jedenfalls kenne ich jemanden, den es freut, dass du nach Redmond gehst. Anne, ich muss dir eine Frage stellen, eine ernste Frage. Ärger dich nicht darüber, sondern antworte ernsthaft. Machst du dir etwas aus Gilbert?«
»So viel wie aus jedem anderen Freund auch. Aber nicht, was du meinst«, sagte Anne ruhig und bestimmt - und das war aufrichtig gemeint.
Diana seufzte. Irgendwie wünschte sie, Annes Antwort wäre anders ausgefallen.
»Vielleicht. . . eines Tages .. . wenn ich den Richtigen treffe«, sagte Anne und lächelte verträumt in den Mondschein.
»Aber woher weiß man, dass es der Richtige ist?«, beharrte Diana. »Oh, ich würde es wissen ... ich würde es irgendwie spüren. Du kennst meine Traumvorstellung, Diana.«
»Die kann sich ändern.«
»Meine nicht. Ich könnte mir aus keinem Mann etwas machen, der sie nicht erfüllt.«
»Was, wenn du den Richtigen nicht triffst?«
»Dann sterbe ich als alte Jungfer«, lautete die fröhliche Antwort. »Das ist durchaus nicht der schlimmste Tod.«
»Ach, das Sterben dürfte nicht das Schlimmste sein, aber mir würde ein Leben als alte Jungfer nicht gefallen«, sagte Diana, ohne spaßig sein zu wollen.
»Obwohl es mir so viel auch wieder nicht ausmachen würde, vorausgesetzt, ich wäre wie Miss Lavendar. Aber wie sie würde ich nie sein. Ich werde mit fünfundvierzig kugelrund sein. Eine schlanke alte Jungfer mag ja noch etwas Romantisches haben - eine dicke nicht. Oh, stelle dir vor, Nelson Atkins hat vor drei Wochen Ruby Gillis einen Heiratsantrag gemacht. Ruby hat es mir erzählt. Sie sagte, sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ihn zu heiraten, weil seine zukünftige Frau mit zu seinen Eltern ziehen müsse. Aber er hätte ihr einen so wundervollen, romantischen Antrag gemacht, dass sie ganz hin und her gerissen war. Sie wollte nichts überstürzen, also bat sie ihn um eine Woche Bedenkzeit. Zwei Tage später war sie bei einem Treffen des Nähzirkels bei seiner Mutter zu Hause. Da lag ein Buch mit dem Titel >Wie benehme ich mich richtig< auf dem Wohnzimmertisch. Ruby sagte, sie könne nicht beschreiben, wie ihr zumute war, als sie ein Kapitel mit der Überschrift >Alles über Heiratsanträge und Heiraten< las und Wort für Wort Nelsons Heiratsantrag wieder erkannte. Sie ging nach Hause und schrieb ihm eine vernichtende Absage. Seither würden ihn seine Eltern abwechselnd im Auge behalten aus Angst, er könnte sich im Fluss ertränken. Aber Ruby meint, da brauchten sie keine Angst zu haben. Denn in >Alles über Heiratsanträge und Heiraten< stünde, wie sich ein verschmähter Liebhaber verhält. Von Ertrinken jedenfalls sei darin keine Rede. Und sie sagt, Wilbur Blair verginge buchstäblich nach ihr, aber dem könne sie wirklich nicht helfen.«
Anne machte eine ungeduldige Bewegung.
»Ich sage das nicht gern. Es klingt so untreu. Aber, hm, ich kann Ruby Gillis nicht mehr leiden. Als wir noch zusammen zur Schule und aufs Queen’s College gingen, da mochte ich sie gern - natürlich nicht so wie dich und Jane. Aber seit dem letzten Jahr in Carmody ist sie ganz verändert. . . so . . .«
»Ich weiß«, nickte Diana. »Die Gillis in ihr kommt durch. Sie kann nichts dafür. Sie redet nur über
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