Anne in Avonlea
noch ein paar von Doras Sachen ausbessern. Außerdem macht Davy inzwischen bestimmt irgendwelchen Unfug und fällt Marilla auf die Nerven. Heute morgen war seine erste Frage: Wohin verschwindet die Nacht, Anne? Das will ich wissen.« Ich sagte ihm, sie wandere auf die andere Seite der Erde. Aber nach dem Frühstück verkündete er, das stimme nicht - sie tauche in den Brunnen hinab. Marilla sagt, sie habe ihn heute schon viermal dabei erwischt, wie er sich über den Brunnenrand beugte und versuchte, bis zur Nacht hinabzureichen.«
»Er ist ein Schlawiner«, erklärte Mr Harrison. »Gestern war er hier und hat Ginger sechs Federn aus dem Schwanz gerupft, noch ehe ich schnell genug aus der Scheune hier war. Seither sitzt der Vogel apathisch da. Diese Kinder machen euch bestimmt noch einen Haufen Sorgen.«
»Alles, was lohnt, dass man es hat, bereitet auch Sorgen«, sagte Anne, die insgeheim entschlossen war, Davy sein nächstes Vergehen, was immer es auch sein mochte, zu verzeihen, weil er sie an Ginger gerächt hatte.
Mr Roger Pye brachte an dem Abend die Farbe für den Saal mit und Mr Joshua Pye, ein griesgrämiger, wortkarger Mann, begann am nächsten Tag mit dem Streichen. Er wurde bei seiner Arbeit nicht gestört. Der Saal lag an der so genannten »unteren« Straße. Im Spätherbst war diese Straße mit schöner Regelmäßigkeit schlammig und voller Pfützen. Alle, die nach Carmody wollten, nahmen die weitere »obere« Straße. Der Saal war so dicht von Tannen umstanden, dass man ihn erst sah, wenn man davorstand. Mr Joshua Pye malte allein und ungestört vor sich hin, wie es ihm in seiner ungeselligen Art am liebsten war.
Freitagnachmittag war er fertig und kehrte zurück nach Carmody. Kurz nach seiner Abfahrt fuhr Mrs Rachel Lynde am Saal vorbei. Sie hatte sich wacker durch die schlammige untere Straße gekämpft und war neugierig, wie der Saal wohl aussah in dieser neuen Farbe. Als sie um die Kurve des Fichtenwaldes bog, sah sie es.
Der Anblick, der sich ihr bot, fuhr Mrs Lynde in alle Knochen. Sie ließ die Zügel sinken, riss die Hände hoch und sagte: »Gütiger Himmel!« Sie starrte darauf, als könne sie ihren Augen nicht trauen. Dann brach sie in ein fast hysterisches Lachen aus.
»Da muss etwas schief gelaufen sein ... kann gar nicht anders sein. Ich wusste gleich, diese Pyes machen Pfusch.«
Mrs Lynde fuhr nach Hause. Auf dem Weg traf sie mehrere Leute, denen sie sofort von der Sache mit dem Saal erzählte. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Gilbert Blythe, der zu Hause saß und ein Lehrbuch studierte, erfuhr es von dem Jungen, den sein Vater am selben Tag eingestellt hatte. Atemlos rannte er nach Green Gables; auf dem Weg schloss sich ihm Fred Wright an. Am Tor von Green Gables, unter den ausladenden kahlen Weiden, stießen sie auf Diana Barry, Jane Andrews und Anne Shirley, die personifizierte Verzweiflung.
»Ist das wirklich wahr, Anne?«, rief Gilbert.
»Es ist wahr«, erwiderte Anne und sah aus wie die Muse der Tragödie. »Mrs Lynde ist auf dem Rückweg von Carmody vorbeigekommen, um es mir zu berichten. Oh, es ist einfach schrecklich! Wozu strengen wir uns überhaupt noch an.«
»Was ist schrecklich?«, fragte Oliver Sloane, der in diesem Augenblick mit der Hutschachtel erschien, die er für Marilla in der Stadt besorgt hatte.
»Hast du es noch nicht gehört?«, fragte Jane düster. »Joshua Pye ist allen Ernstes hingegangen und hat den Saal blau statt grün gestrichen - ein dunkles, leuchtendes Blau, den Farbton, den man sonst für Lastkarren und Schubkarren verwendet. Und Mrs Lynde sagt, es ist die scheußlichste Farbe, die sie je bei einem Gebäude gesehen hat und die man sich nur vorstellen kann, vor allem, wenn das Ganze dann auch noch ein rotes Dach hat. Man hätte mich mit dem kleinen Finger umstupsen können, als ich es hörte. Es bricht einem das Herz, nach all dem Ärger, den wir uns deswegen eingehandelt hatten.«
»Wie um alles auf der Welt konnte das passieren?«, jammerte Diana. Die Schuld für dieses grauenvolle Unglück war möglicherweise der Ungeschicklichkeit der Pyes zuzuschreiben. Die Verschönerer hatten entschieden, Morton-Harris-Farbe zu verwenden. Die Morton-Harris-Farbtöpfe waren nach einer Farbkarte nummeriert. Der Käufer suchte sich den Farbton anhand dieser Farbkarte aus und gab die Bestellung entsprechend der Nummer auf. 147 war die Nummer des gewünschten Grüns. Als Mr Roger Pye durch seinen Sohn, John Andrew, den Verschönerern
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