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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Harrison es fertig brachte und in aller Seelenruhe auf dem Feld jenseits des Wegs Weiterarbeiten konnte, so als wäre nichts.
    Das Wohnzimmer von Green Gables war ein ziemlich schlichter dunkler Raum mit stabilen, mit Rosshaar gepolsterten Sitzmöbeln, steifen Spitzengardinen und weißen Sofaschonern, die stets tadellos ausgelegt waren, außer wenn irgendein Pechvogel mit dem Knopf daran hängen blieb. Anne hatte das Zimmer nie schöner gestalten dürfen, denn Marilla duldete keine Veränderungen. Aber was kann man mit Blumen nicht alles bewirken, wenn man sie nur richtig zur Geltung bringt. Als Anne und Diana mit dem Zimmer fertig waren, war es nicht wieder zu erkennen: Auf dem blank gewischten Tisch stand eine große Vase mit Schneebällen. Der glänzende schwarze Kaminsims war überhäuft mit Rosen und Farnblätter. Auf jedem Brett des Bücherschranks stand ein Sträußchen Glockenblumen. Die dunklen Ecken an beiden Seiten des Kamins wurden aufgehellt von Krügen voll leuchtend roter Pfingstrosen, der Kamin selbst war entflammt mit gelbem Mohn. All die Blütenpracht, die Farben und das Sonnenlicht, das durch die vielen Blätter der Geißblattreben vor den Fenstern fiel und tanzende Schatten auf Wände und Fußboden warf, verwandelten den sonst düsteren Raum in die »Laube« aus Annes Vorstellung. Er rang sogar Marilla Bewunderung ab, die hereinkam, um ihn sich kritisch zu betrachten, und dann voll des Lobes war.
    »Jetzt müssen wir den Tisch decken«, sagte Anne wie eine Priesterin, die im Begriff ist, eine heilige Handlung zu Ehren einer Gottheit vorzunehmen. »Wir stellen eine große Vase mit wilden Rosen in die Mitte, eine einzelne Rose vor jeden Teller, und einen extra Strauß mit noch nicht aufgeblühten Rosen für Mrs Morgan — als Anspielung auf den >Rosenknospen-Garten<, verstehst du.«
    Sie deckten den Tisch im Wohnzimmer mit Marillas feinstem Tischtuch und bestem Porzellan, Gläsern und Silberbesteck. Jedes Teil, das auf den Tisch kam, war poliert und so blank geputzt, dass es nur so glitzerte und glänzte.
    Dann gingen die Mädchen in die Küche. Sie war erfüllt vom appetitanregenden Duft, der aus dem Ofen strömte, in dem bereits die Hühner herrlich vor sich hin brutzelten. Anne setzte die Kartoffeln auf, Diana die Erbsen und Bohnen. Dann bereitete Anne, deren Wangen bereits glühten, die Maissoße zu den Hühnern, hackte die Zwiebeln für die Suppe und schlug am Schluss die Sahne für die Zitronentörtchen, während Diana sich in die Speisekammer einschloss und den Salat fertig machte.
    Und was war mit Davy? Hielt er sein Versprechen und war brav? Ja. Natürlich bestand er darauf, in der Küche zu bleiben, um seine Neugierde zu befriedigen und alles zu verfolgen. Da er ruhig in der Ecke saß und emsig damit beschäftigt war, die Knoten aus dem Fischnetz zu machen, das er von seinem letzten Ausflug ans Meer mitgebracht hatte, hatte niemand etwas dagegen.
    Um halb zwölf war der Salat fertig, die goldgelben Törtchen waren mit Schlagsahne verziert, alles, was brutzeln und brodeln sollte, brutzelte und brodelte vor sich hin.
    »Wir gehen uns jetzt besser umziehen«, sagte Anne. »Vielleicht kommen sie ja schon um zwölf. Punkt eins müssen wir zu Mittag essen, denn die Suppe muss, sobald sie fertig ist, sofort serviert werden.« Sie gingen in den Ostgiebel und zogen sich festlich an. Anne betrachtete besorgt ihre Nase und stellte hocherfreut fest, dass die Sommersprossen, entweder dank des Zitronensafts oder dank ihrer ungewöhnlich roten Wangen, überhaupt nicht auffielen. Als sie sich umgezogen hatte, sahen sie genauso adrett, schmuck und mädchenhaft aus wie »Mrs Morgans Heldinnen«.
    »Hoffentlich bringe ich wenigstens ab und zu ein Wort über die Lippen und sitze nicht die ganze Zeit stumm da«, sagte Diana besorgt.
    »Wo Mrs Morgans Heldinnen immer so gekonnt Konservation betreiben. Aber ich fürchte, ich bringe kein Wort heraus und sitze dämlich da. Und bestimmt sage ich wieder >verstehste<. Seit Miss Stacy hier unterrichtet hat, sage ich es nicht mehr ganz so oft. Aber wenn ich aufgeregt bin, platzt es mir bestimmt wieder heraus. Anne, wenn ich in Gegenwart von Mrs Morgan >verstehste< sage, schäme ich mich zu Tode. Es wäre fast noch schlimmer, als wenn ich keinen Ton sage.«
    »Ich befürchte einiges«, sagte Anne, »aber ich habe keine Bange, dass ich kein Wort herausbringe.«
    Anne verhüllte ihre Musselin-Pracht mit einer großen Schürze und ging nach unten, um die Suppe

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