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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Anlässen dabeihaben will. Ich weiß, ich bin sarkastisch. Ich weiß, ich gelte bei meinen Schülern als Tyrann. Ich weiß, sie hassen mich. Denken Sie, das tut mir nicht weh? Sie sehen alle immer so aus, als hätten sie Angst vor mir - ich hasse Menschen, die mich ansehen, als fürchteten sie sich vor mir. Oh, Anne, der Hass ist wie eine unheilbare Krankheit. Ich möchte sein wie andere Menschen - aber es ist zu spät. Das ist es, was mich so verbittert macht.«
    »Aber es ist doch gar nicht zu spät!« Anne legte den Arm um Katherine. »Sie können doch den Hass aus Ihrem Herzen verjagen! Jetzt beginnt das Leben erst richtig für Sie, wo Sie frei und unabhängig sind. Und man weiß nie, was sich hinter der nächsten Wegbiegung verbirgt.«
    »Das haben Sie schon einmal gesagt. Ich habe damals gelacht über Ihre >Wegbiegung<, denn mein Weg hat keine Biegung. Er fuhrt von mir immer geradeaus bis zum Horizont - unendlich monoton. Das Leben ist so erschreckend, mit dieser Leere und diesen vielen kalten Menschen, die von mir nichts wissen wollen. Aber Sie müssen ja auch nicht für den Rest Ihres Lebens unterrichten. In Wahrheit hasse ich es, Lehrerin zu sein, aber es gibt nichts, was ich sonst tun könnte. Ein Lehrer ist doch nichts als ein Sklave der Zeit. Aber ich weiß ja, dass Sie gerne Lehrerin sind, wenn ich es auch nicht verstehe. Anne, ich möchte viel lieber reisen, davon habe ich immer geträumt. Ich erinnere mich an das einzige Bild, das in meiner Dachkammer bei Onkel Henry hing, es war alt und verblichen und zeigte einen Brunnen in der Wüste, umgeben von Palmen und einer Kamelherde am Horizont. Das Bild faszinierte mich und ich wollte immer dorthin. Aber mein Gehalt wird dazu nie ausreichen. Ich werde immer so weitermachen müssen und von König Henry und seinen acht Frauen schwatzen und von den unerschöpflichen Quellen Kanadas.« Sie ließ den Kopf hängen.
    Anne lachte. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben zu lachen, denn die Bitterkeit war aus Katherines Stimme gewichen. Sie klang nur wehmütig und unduldsam.
    »Also komm, lass uns Freunde sein, Katherine, und lass uns unsere Freundschaft mit zehn fröhlichen Tagen auf Green Gables beginnen. Ich wollte schon immer mit dir Freundschaft schließen, Katherine - mit K! Ich habe einfach gefühlt, dass du unter deinen Stacheln empfindsam und liebenswert bist.« Sie half ihr beim Aufstehen.
    »Das hast du wirklich gedacht?«, wunderte sich ihre neue Freundin. »Ich werde also versuchen, meine Stacheln abzulegen. Vielleicht gelingt es mir. Hier in deinem Green Gables scheint mir alles möglich zu sein. Es ist der erste Ort, der mir ein Gefühl von Heimat gibt. Ich möchte gern wie andere Menschen sein - wenn es nicht schon zu spät ist. Wenn ich heute Abend zu Bett gehe, wer weiß, ob ich dann nicht wütend bin auf mich selbst, weil ich vor dir meine Maske abgelegt und dir meine Gedanken verraten habe.« Beide gingen aufs Haus zu. »Nein, bestimmt nicht«, beruhigte Anne sie. »Du wirst denken: >Ich bin froh, dass sie nun weiß, dass ich ein Mensch bin.< Dann wirst du dich in dein warmes Bett kuscheln und gleich einschlafen. Und morgen früh schaust du aus dem Fenster und stellst fest, dass der Himmel blau ist. Und dann werde ich dir zeigen, wie man Plumpudding macht.«
    Als sie auf ihre Zimmer gingen, fiel Anne auf, wie frisch Katherine nach ihrem langen Spazierlauf wirkte.
    »Sie könnte wirklich nett aussehen, wenn sie sich auch noch besser anziehen würde«, dachte Anne. »Ich werde mal sehen, was sich da machen lässt.«

Kapitel 6
    Die folgenden Tage waren voller fröhlicher Weihnachtsvorbereitungen. Katherine, Anne, Davy und Dora gingen in den Wald, um den Weihnachtsbaum zu holen, und fanden eine wunderschöne, kleine Tanne. Anne hätte es normalerweise Leid getan, sie zu fällen, aber sie wusste, dass die Stelle im Frühjahr sowieso abgeholzt werden sollte.
    Als sie mit Fichten- und Kiefernzweigen beladen zum Haus zurückstapften, wartete dort ein großer junger Mann mit braunen Augen und einem Schnurrbart auf sie. Anne stutzte einen Moment und fragte sich, ob es wirklich Gilbert war. Katherine ließ die beiden im Salon allein und spielte den ganzen Abend mit den Zwillingen. Zu ihrem eigenen Erstaunen stellte sie fest, dass sie sogar Spaß daran hatte. Und was für ein Erlebnis war es, mit Davy in den Keller hinunterzusteigen, um Äpfel zu holen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Katherine das Gefühl, dass das Leben auch für sie noch schön werden

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