Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
Vom Netzwerk:
goldenen Gürtel. Und mit Marius’ Kämmen und Bürsten bear-beitete ich mein Haar, bis es wie ein reiner, loser Umhang war, frei von Verfilzungen, weich und wellig, wie ich es einst als kleines Mädchen getragen hatte.
    Die vielen Spiegel, die Marius besaß, bestanden damals, wie du weißt, nur aus poliertem Metall. Und mein eigenes Spiegelbild schien mir nun melancholisch und geheimnisvoll durch die schlichte Tatsache, dass ich wieder jung war; meine Brustwarzen waren rosig; keine Altersfältchen unterbrachen mehr die Vorzüge meines Gesichts oder meiner Arme. »Zeitlos« wäre vielleicht der passende Ausdruck dafür. Zeitloser Status einer erwachsenen Frau. Und jeder feste Gegenstand schien dazu da zu sein, meine neu gewonnene Stärke zu bestätigen.
    Ich sah auf die dicken Marmorplatten hinunter, aus denen der Fußboden bestand, und erkannte in ihnen die Tiefgründigkeit, den Beweis eines wundersamen und kaum zu begreifenden Prozesses.
    Ich wollte wieder hinausgehen, zu den Blumen sprechen, sie pflücken, so viel die Hände tragen konnten. Ich hätte zu gern mit den Sternen geredet. Aus Angst vor Marius wagte ich nicht, das Heiligtum aufzusuchen, aber wenn er nicht irgendwo in der Nähe gewesen wäre, hätte ich mich noch einmal zu Füßen der Mutter niedergekniet, sie betrachtet in stummer Versenkung, auf die leiseste Äußerung von ihr gewartet, obwohl ich, nachdem ich Marius’ Verhalten erlebt hatte, ganz genau wusste, dass es dergleichen nicht geben würde.
    Sie hatte ihren rechten Arm bewegt, als ob ihr übriger Körper nichts davon wüsste. Sie hatte sich einmal bewegt, um zu töten, und dann später, um einladend zu winken.
    Ich ging in die Bibliothek, setzte mich an das Schreibpult, wo meine Blätter lagen, und wartete.
    Als Marius schließlich kam, war er ebenfalls umgeklei-det, sein Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel ihm auf die Schultern. Er setzte sich neben mich auf einen Stuhl, der aus Ebenholz war, geschwungen und mit Gold eingelegt. Und ich schaute ihn an und stellte fest, wie sehr er diesem Stuhl ähnelte – dieser schönen, konservierten Ausarbeitung aller Rohmaterialien, die in ihn eingegangen waren. Die Natur hatte das Schnitzwerk und die Ein-legearbeit besorgt, und dann hatte das Ganze einen Firnis bekommen.
    Ich hätte gern in seinen Armen geweint, aber ich unterdrückte das Gefühl der Einsamkeit. Die Nacht würde mich nie im Stich lassen, sie erwies mir ihre Treue mit jeder geöffneten Tür, durch die das Gras hereinsah und die verästelten Zweige der Olivenbäume, die sich in den Himmel reckten, um das Licht des Mondes einzufangen.
    »Gesegnet ist«, sagte ich, »wer zum Bluttrinker wird, wenn Vollmond ist und die Wolken wie Berge in die durchsichtige Nacht aufsteigen.«
    »Mag sein«, sagte er.

    Er drehte die Lampe, die zwischen uns auf dem Tisch stand, so, dass sie mich nicht blendete.
    »Ich habe meinem Haushofmeister hier eine Heimstatt bereitet«, sagte ich. »Ich habe ihm ein Bad, ein Bett und Kleidung angeboten. Ich hoffe, du vergibst mir. Ich liebe ihn, und ich will ihn nicht verlieren. Es ist für ihn zu spät, um in die normale Welt zurückzukehren.«
    »Er ist ein außergewöhnlicher Mensch«, sagte Marius,
    »und sehr willkommen hier. Morgen kann er vielleicht auch deine Sklavinnen holen. Dann haben die beiden Knaben Gesellschaft, und es wird tagsüber etwas Disziplin herrschen. Außerdem kennt sich Flavius mit Büchern aus.«
    »Du bist sehr gütig. Ich hatte befürchtet, du würdest er-zürnt sein. Warum leidest du so? Ich kann nicht in deinen Gedanken lesen; diese Gabe habe ich nicht verliehen bekommen.« Nein, das stimmte nicht. Flavius’ Gedanken konnte ich lesen. Und ich wusste zum Beispiel, dass die beiden Knaben, die ihm in diesem Augenblick bei seiner Nachttoilette halfen, sehr erleichtert über seine Gegenwart waren.
    »Wir sind durch das Blut zu eng miteinander verbunden«, erklärte Marius. »Ich kann deine Gedanken auch nicht mehr lesen. Wir müssen auf Worte zurückgreifen wie die Sterblichen, nur sind unsere Sinne unendlich viel schärfer, und das Gefühl des Losgelöstseins, das uns zuweilen überkommt, wird von einer Kälte sein wie das Eis des Nordens; und dann wieder können uns unsere Gefühle entflammen und uns mit sich reißen wie Wellen glühender Lava.«
    »Hm«, machte ich nur.
    »Du verachtest mich«, sagte er leise, reumütig, »weil ich die Ekstase erstickt habe, ich nahm dir deine Freude, deine Überzeugung.« Er sah richtig elend aus.

Weitere Kostenlose Bücher