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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Bluttrinker geschaffen. Und ich hatte doch geschworen, dass nie, niemals wieder einer gemacht werden sollte – nicht, solange ich existiere!«
    »Komm nach oben!«, sagte ich ruhig. Ich warf einen Blick auf das königliche Paar. Kein Zeichen von Reaktion oder Erkennen. »Es ist nicht recht, dass wir hier in dem Heiligtum streiten. Lass uns nach oben gehen.«
    Er nickte.
    Mit gesenktem Kopf ließ er sich von mir langsam hi-nausführen.
    »Diese langen barbarischen Haare sind sehr kleid-sam«, sagte ich. »Und immerhin habe ich nun Augen, die dich sehen können wie nie zuvor. Wir haben unser Blut gemischt, wie es durch ein gemeinsames Kind hätte geschehen können.«
    Er wischte sich die Nase und mied meinen Blick.
    Wir gingen in die große Bibliothek.
    »Marius, gibt es denn nichts an mir, dass dein Auge er-freuen könnte, nichts, das du schön findest?«
    »O doch, meine Liebe, es ist alles vorhanden!«, sagte er. »Aber, um Himmels willen, benutze doch deinen Verstand, wenn es um diese Angelegenheit geht! Verstehst du denn nicht? Dein Leben ist dir geraubt worden, doch nicht um einer heiligen Wahrheit willen, sondern wegen eines schändlichen Geheimnisses! Dass ich Gedanken lesen kann, macht mich um nichts weiser als meine Mitmenschen! Ich töte, um selbst zu leben. So wie sie es einst auch getan hat, vor Tausenden und Abertau-senden von Jahren. Oh, und sie wusste ganz genau, dass sie das hier tun musste. Sie wusste, dass die Zeit dafür gekommen war.«
    »Welche Zeit? Und was wusste sie?«
    Ich starrte ihn an. Langsam dämmerte mir, dass ich seine Gedanken nicht mehr lesen konnte, und sicher konnte er auch die meinen nicht mehr lesen. Aber die herumlungernden Knaben waren für mich in ihrer Angst wie ein offenes Buch: Sie hielten sich für die Diener zweier gutherziger, aber recht lautstarker Dämonen.
    Marius seufzte. »Sie tat es, weil ich beinahe genug Mut gesammelt hatte, das Unvermeidliche zu tun! Nämlich sie beide und mich der Sonne auszusetzen und so das Werk zu vollenden, das der ägyptische Älteste schon ange-strebt hatte – der Welt den König und die Königin vom Hals zu schaffen und auch alle mit Reißzähnen bewehr-ten Männer und Frauen, die sich an Tod und Blut gütlich tun. Oh, sie ist mehr als raffiniert!«
    »Das hattest du wirklich vor?«, fragte ich. »Sie beide und dich in Flammen aufgehen zu lassen?«
    Er stieß ein leises, sarkastisches Schnauben aus.
    »Ja, sicher, das hatte ich vor. Nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr, in zehn Jahren, in hundert Jahren, vielleicht in zweihundert, vielleicht auch erst, nachdem ich alle Bücher der Welt gelesen und alle Orte gesehen hätte, vielleicht in fünfhundert Jahren, vielleicht
    … vielleicht auch schon bald, so einsam, wie ich war.«
    Ich war zunächst zu verblüfft, um etwas zu sagen.
    Er lächelte mich an, mit einem weisen, traurigen Lä-
    cheln. »Ach, ich weine ja wie ein Kind«, sagte er leise.
    »Woher nimmst du das Selbstvertrauen, einem so kühnen und komplexen Beweis göttlicher Magie ein so rasches Ende setzen zu wollen?«, fragte ich.
    »Magie!« Er spuckte das Wort aus wie einen Fluch.
    »Mir wäre lieber, du ließest das sein«, sagte ich. »Ich meine nicht dein Weinen, ich meine, dass du die große Mutter und den Vater brennen lassen willst …«
    »Das dachte ich mir!«, antwortete er. »Glaubst du denn, ich brächte es fertig, das gegen deinen Willen zu tun, dich dem Feuer auszuliefern? Du naive, hoffnungs-lose Närrin! Ihre Altäre wieder errichten! Ach! Ihren Kult wieder aufleben lassen! Ach! Du bist nicht bei Sinnen!«
    »Närrin? Du wagst es, mich so zu beleidigen? Du denkst wohl, du hättest einen neuen Sklaven in deinen Haushalt gebracht! Du hast dir nicht mal eine Frau ange-schafft!«
    Ja, genau! Unsere Seelen waren nun voreinander verschlossen, und später würde ich entdecken, dass unser intensiver Blutaustausch der Grund dafür war. In diesem Augenblick jedoch wusste ich nur eins: dass wir uns, wie die Sterblichen, mit Worten zufrieden geben mussten.
    »Ich wollte dich nicht beleidigen!«, sagte er. Er fühlte sich getroffen.
    »Nun, dann schärfe deinen großartigen männlichen Verstand und deine stolze, aristokratische Ausdrucksweise!«, giftete ich.
    Wir warfen uns gegenseitig finstere Blicke zu.
    »Ja!«, sagte er. »Verstand!« Er hob den Finger. »Du bist die klügste Frau, die ich je getroffen habe. Und nor-malerweise hörst du auf Vernunftgründe. Ich werde es dir erklären, und du wirst es einsehen.

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