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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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rezitierte Lukrez: Was vom Himmel kam,
    hebt wieder sich empor.

    Wahnsinn!
    Wie ich es erzählt habe, so war es leider: Ich irrte umher, kroch auf allen vieren, weinte und schrie drei Tage und Nächte.

    4

    Eines Morgens, als die Sonne durch das offene Dach flutete, sah ich mir schließlich die Gegenstände in meiner Umgebung genauer an und stellte fest, dass ich weder wusste, was sie darstellten, noch, wozu sie gut waren.
    Ihre alltäglichen Namen fielen mir nicht ein. Ihr Sinn hatte sich mir entzogen. Ich wusste nicht, wo ich mich befand.
    Ich rappelte mich auf und erkannte, dass mein Blick auf dem Lararium ruhte, dem Schrein der Hausgötter. Natürlich, dies hier war das Speisezimmer, und das da waren die Ruhebetten, und dort drüben stand das eheliche Bett in seiner ganzen Pracht!
    Das Lararium war ein hoher, dreiseitiger Schrein, wie ein Miniaturtempel mit drei Giebeln, und in ihm standen die kleinen Figurinen der Hausgötter. Niemand in dieser weltlich gesinnten Stadt hatte sich die Mühe gemacht, sie zusammen mit der verstorbenen Frau fortzubringen.
    Die Blumen waren verwelkt. Das Feuer war einfach ausgebrannt. Niemand hatte es mit Wein gelöscht, wie es sich gehört hätte.
    Auf Händen und Knien kroch ich in meinem zerrissenen Gewand durch den Garten des Peristyls und sammelte Blumen für die Hausgötter. Ich fand Brennholz und entzündete das heilige Feuer aufs Neue.
    Ich starrte den Schrein an. Stundenlang war mein starrer Blick darauf gerichtet. Mir schien, als könnte ich mich nie wieder bewegen.
    Die Nacht brach herein. »Nicht schlafen«, flüsterte ich.
    »Wache die Nacht durch! Sie warten im Dunkeln auf dich, diese Ägypter! Der Mond, sieh nur, der Mond ist fast voll, es fehlt vielleicht nur noch eine Nacht bis zum Vollmond.«
    Doch die schlimmsten Qualen lagen hinter mir, und ich war erschöpft, und der Schlaf kam und umfing mich. Er kam, als wollte er sagen: »Sorge dich nicht mehr.«
    Der Traum tauchte auf.
    Ich sah Männer in vergoldeten Gewändern. »Man wird dich nun in das Allerheiligste bringen.« Aber was war dort? Ich wollte es nicht sehen. »Unsere Mutter, unsere geliebte, schmerzensreiche Mutter«, sagte der Priester.
    Die Malereien an den Wänden zeigten reihenweise Ägypter im Profil und Worte, die aus Bildern bestanden.
    Myrre schwelte hier.
    »Komm«, sagten die, die mich führten. »Alle Unreinheit ist von dir abgefallen, und du wirst teilhaben an der heiligen Quelle.«
    Ich hörte eine Frau weinen und klagen. Ich spähte in den großen Raum, ehe ich ihn betrat. Da saßen sie, der König und die Königin, auf ihrem Thron: Der König blickte still und starr vor sich hin wie in meinem letzten Traum, und die Königin wehrte sich gegen ihre goldenen Fesseln. Sie trug die Krone von Ober- und Unterägypten.
    Und ein gefälteltes Leinengewand. Ihre Zöpfe waren keine Perücke, sondern ihre eigenen Haare. Sie weinte, und ihre weißen Wangen zeigten rote Flecken. Auch ihr Halsschmuck und ihre Brüste waren rot befleckt. Sie sah beschmutzt und erniedrigt aus.
    »Meine Mutter, meine Göttin«, sagte ich. »Das ist ver-abscheuungswürdig.«
    Ich zwang mich aufzuwachen.
    Ich setzte mich auf und legte meine Hand auf den Schrein und sah zu den Spinnweben in den Bäumen des Gartens, die durch die Strahlen der aufsteigenden Sonne sichtbar wurden. Ich glaubte Stimmen in der alten ägyptischen Sprache flüstern zu hören.
    Das wollte ich nicht zulassen! Ich würde nicht verrückt werden! Genug! Der einzige Mann, den ich je geliebt hatte, mein Vater, hatte zu mir gesagt: »Lebe!«
    Es wurde Zeit zu handeln. Aufzustehen und in Schwung zu kommen. Plötzlich war ich voller Kraft und Zielstrebigkeit.
    Die langen Nächte meiner Trauer und meiner Tränen waren der Initiation im Isis-Tempel vergleichbar: Der Tod war das Rauschgift gewesen, Einsicht hatte die Wandlung gebracht.
    Es war nun vorbei, die sinnlose Welt war erträglich und brauchte nicht erklärt zu werden. Und es würde auch nie wieder nötig sein: Wie töricht war ich doch gewesen, dass ich das je geglaubt hatte.
    Die schwierige Lage, in der ich mich befand, verlangte nach Taten.
    Ich goss Wein in einen Becher und ging damit zum Eingangstor.
    Die Stadt schien ruhig zu sein. Menschen gingen vorbei, wandten ihre Augen ab von der halb bekleideten, zerlumpten Frau im Vestibül.
    Schließlich ein Arbeiter, der sich unter seiner Last Zie-geln vorbeischleppte. Ich streckte ihm den Wein entgegen und sprach ihn an: »Ich war drei Tage lang krank.

    Was

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