Anne Rice - Pandora
mit nur einem Bein!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Dieb! Du forderst das von meiner Herrin, hier in Antiochia, wo es so viele Sklaven gibt, dass die Schiffe sie weiter nach Rom mitnehmen müssen, weil das die einzige Möglichkeit ist, die Verluste zu decken?«
Ich war sehr beeindruckt. Alles war so gut verlaufen.
Das Dunkel lichtete sich um mich, und in diesem Augenblick schien selbst der Sonnenwärme eine göttliche Bedeutung innezu wohnen.
»Du betrügst meine Herrin, und du weißt es! Du bist der Abschaum der Erde!«, fuhr er fort. »Herrin, werden wir je wieder bei diesem Schurken Sklaven erwerben? Ich rate dir, nein!«
Der Händler zeigte ein albernes Grinsen, eine scheuß-
liche Grimasse aus Feigheit und Stumpfsinn, verbeugte sich tief und gab mir ein Drittel von der Summe zurück, die ich ihm gezahlt hatte.
Ich konnte mir kaum einen neuen Heiterkeitsausbruch verkneifen. Wieder musste ich meine Palla vom Boden auflesen. Flavius hob sie für mich auf. Dieses Mal knote-te ich sie vor der Brust ordentlich zusammen.
Ich betrachtete das Gold, das ich zurückbekommen hatte, häufte es zusammen, übergab es Flavius, und dann gingen wir fort.
Als wir in das dichte Gewühl im Zentrum des Forums eingetaucht waren, lachte ich über diese ganze Geschichte und konnte gar nicht wieder aufhören.
»Also, Flavius, du beschützt mich schon, sparst mir Geld und berätst mich ausgezeichnet. Wenn es mehr Männer wie dich in Rom gäbe, sähe die Welt vielleicht besser aus.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt, er konnte kaum sprechen. Mit Mühe brachte er flüsternd heraus:
»Herrin, mit Leib und Seele bin ich Euch für immer zu Diensten.«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Mir wurden seine Blöße und das schmutzige Lendentuch bewusst, dass das alles eine Schande war, die er ertrug ohne ein Anzeichen von Protest.
»Hier«, ich reichte ihm einige Münzen. »Bring die Mädchen nach Hause, zeig ihnen, was sie zu tun haben. Anschließend gehst du zu den Bädern. Sorge dafür, dass du rein wirst, so rein, wie es sich für einen Römer schickt.
Nimm dir einen Knaben, wenn du willst. Oder auch zwei.
Dann kaufe dir schöne Kleider, keine Sklavenkittel, merk dir das, sondern Kleider, wie du sie für einen reichen jungen Römer kaufen würdest!«
»Herrin, bitte, verbergt diesen Geldbeutel!«, sagte er, als er die Münzen entgegennahm. »Und wie ist der Na-me meiner Herrin? Was soll ich sagen, wenn man mich fragt, zu wem ich von nun an gehöre?«
»Zu Pandora von Athen«, antwortete ich. »Obwohl du mich über den gegenwärtigen Zustand meines Geburts-ortes in Kenntnis setzen musst, denn in Wirklichkeit bin ich ja noch nie dort gewesen. Aber ein griechischer Na-me dient meinen Zwecken am besten. Nun geh. Sieh mal, die Mädchen beobachten uns schon!«
Eine Menge Leute beobachteten uns. Oh, diese rote Seide! Und Flavius war ein so toll aussehender Mann!
Ich küsste ihn abermals und, berechnender Teufel, der ich bin, flüsterte ihm ins Ohr: »Ich brauche dich, Flavius.«
Er sah in Ehrfurcht auf mich nieder. »Herrin, ich gehöre Euch auf ewig«, flüsterte er.
»Bist du sicher, dass du mit mir im Bett nicht kannst?«
»Ach, glaubt mir, ich habe es schon versucht!«, gestand er und errötete wieder.
Ich ballte die Faust und boxte gegen seinen muskulö-
sen Oberarm. »Nun gut!«, sagte ich.
Die Mädchen hatten sich auf mein Zeichen hin schon erhoben. Sie wussten, dass ich ihn zu ihnen schickte.
Ich übergab ihm die Schlüssel, erklärte ihm den Weg zu meinem Haus, beschrieb ihm das Tor in allen Einzelheiten und den alten Brunnen mit dem bronzenen Löwen direkt hinter dem Tor.
»Und Ihr, Herrin?«, fragte er. »Ihr wollt ohne Begleitung durch die Menge gehen? Herrin, Euer Geldbeutel ist groß! Er ist bis zum Rand mit Gold gefüllt.«
»Warte, bis du erst das Gold in meinem Haus siehst«, sagte ich. »Sorge dafür, dass du der Einzige bist, der die Schubkästen und Truhen öffnen kann, und bring alles in passenden Verstecken unter. Ersetze die Möbelstücke, die ich in meiner … meiner Verlassenheit zerschlagen habe. In den oberen Stockwerken lagert noch so manches.«
»Gold im Haus!« Er war aufgeschreckt. »Truhen voller Gold!«
»Nun komm, mach dir keine Sorgen um mich!«, beruhigte ich ihn. »Ich weiß jetzt, wo ich Hilfe finden kann.
Und wenn du mich hintergehst, wenn du meine Erbschaft stiehlst und ich bei der Rückkehr mein Haus verwüstet vorfinde, dann habe
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