Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
Vom Netzwerk:
miteinander; ich glaube, es war Chaldäisch.
    »Herrin, ich habe Angst um Euch!«, rief Flavius. »Wie kann ich Euch vor einem Mann wie diesen Marius beschützen? Herrin, er wird Euch zürnen!«
    Ich lag mit dem Bauch quer über der Mauerkrone und rang nach Luft. Der Garten innen war wunderschön und sehr groß. Was für herrliche Marmorbrunnen! Die beiden Sklaven hatten sich Schritt für Schritt zurückgezogen und gafften mich an, als wäre ich ein mächtiges Ungeheuer.
    »Bitte, bitte!«, flehten sie beide. »Er wird sich furchtbar rächen! Ihr kennt ihn nicht. Edle Dame, bitte wartet.«
    »Los, Flavius, gib mir die Blätter. Für Ungehorsam ist jetzt keine Zeit!«
    Flavius gab nach, aber er sagte: »Ach, das ist alles falsch, ganz falsch! Das kann nur zu den schrecklichsten Missverständnissen führen.«
    Dann rutschte ich auf der anderen Seite der Mauer hinunter, wobei mich der dichte Überzug borstiger, glänzender Blätter überall kitzelte, und drückte den Kopf in die verschlungenen Ranken und Blüten. Ich hatte keine Angst vor den Bienen. Die hatte ich noch nie gefürchtet.
    Ich verweilte einen Augenblick. Dabei hielt ich meine be-schriebenen Seiten fest an mich gepresst. Schließlich ging ich zum Tor, damit ich Flavius sehen konnte.
    »Überlass Marius nur mir«, sagte ich zu ihm. »Aber du bist doch nicht ohne deinen Dolch weggegangen?«
    »Nein, natürlich nicht«, antwortete er und hob seinen Umhang hoch, um ihn zu enthüllen, »und mit Eurer Erlaubnis würde ich ihn mir jetzt gern ins Herz stoßen, damit ich schon eiskalt bin, ehe der Herr dieses Hauses erscheint und Euch hier in seinem Garten Amok laufen sieht!«
    »Erlaubnis verweigert!«, sagte ich. »Untersteh dich.
    Hast du nicht richtig zugehört? Du sollst dich nicht vor Marius in Acht nehmen, sondern vor dem verschrumpel-ten, humpelnden Dämon in seiner verkohlten Haut. Er wird kommen, sobald es dunkel ist. Was ist, wenn er vor Marius hier ist?«
    »Oh, ihr Götter, helft mir!« Er schlug die Hände vors Gesicht.
    »Flavius, reiß dich zusammen. Du bist ein Mann! Muss ich dich immer wieder daran erinnern? Du sollst Ausschau nach diesem Furcht einflößenden schwarzen Kno-chengerüst halten – und es ist schwach. Denk daran, was Marius gesagt hat. Ziel auf seinen Kopf. Bohr ihm deinen Dolch in die Augenhöhlen, schlitz ihn auf, zerfetz ihn mit der Klinge, und ruf nach mir; ich werde kommen.
    Nun leg dich schlafen, bis es dunkel wird. Vorher kann er nicht kommen, wenn er überhaupt weiß, wo er hin muss!
    Außerdem glaube ich, dass Marius vor ihm hier sein wird.«
    Ich drehte mich um und schritt auf die offen stehenden Türen des Hauses zu. Die hübschen, langhaarigen Knaben zerflossen in Tränen.
    Einen Augenblick lang betäubten der Frieden und die feuchte, kühle Luft des Gartens jede Furcht in mir, und mir schien, als wäre ich in Sicherheit, in einer Umgebung, die ich verstand, weit weg von dunklen Tempeln, in der Sicherheit unseres alten Parks in der Toskana, der genauso üppig gewesen war wie dieser hier.
    »Ich bitte Euch ein letztes Mal, kommt zurück, verlasst diesen Garten!«, rief Flavius.
    Ich kümmerte mich nicht darum.
    Alle Türen dieser hübsch verputzten Villa standen offen: die oberen, die auf die Balkons hinausgingen, sowie die unteren, die in den Garten führten. Hör nur die rie-selnden Quellen! Zitronenbäume standen hier und Marmorstatuen träger, sinnenfroher Götter oder Göttinnen inmitten purpurner und blauer Blumen. Aus einem Polster orangefarbener Blüten ragte die Jägerin Diana auf, der Marmor vom Alter zerfressen. Und dort markierte ein schläfriger Ganymed, schon halb mit grünem Moos bedeckt, einen überwachsenen Pfad. Weiter weg erblickte ich die nackte Gestalt der Venus, die sich am Rand eines Bassins zum Bade niederbeugte. In das Becken floss Wasser. Wohin mein Blick auch fiel, überall sprudelten Quellen.
    Die üblichen kleinen weißen Lilien waren wild gewu-chert, und da gab es Olivenbäume mit wunderbar verbo-genen Stämmen, die wie einst in meiner Kindheit zum Klettern einluden.
    Über allem lag eine idyllische Unberührtheit, dennoch sah man, dass die Natur unter Kontrolle gehalten wurde.
    Die Mauern waren frisch gestrichen, ebenso die hölzernen, weit geöffneten Fensterläden.
    Die beiden Knaben weinten. »Herrin, er wird furchtbar zornig sein.«
    »Aber doch nicht auf euch«, entgegnete ich, schon auf dem Weg ins Haus. Da ich über das Gras gegangen war, hinterließen meine Füße kaum eine Spur auf

Weitere Kostenlose Bücher