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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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dem Marmorboden.
    »Hört doch auf zu heulen! Ihr müsst ihn ja nicht einmal bitten, dass er euch Glauben schenkt. Habe ich nicht Recht? Er kann die Wahrheit in euren Gedanken lesen.«
    Das verblüffte sie beide. Sie betrachteten mich arg-wöhnisch.
    Ich blieb stehen, sobald ich die Schwelle überschritten hatte. Von diesem Haus ging etwas aus, nicht laut genug, um als Klang bezeichnet zu werden, doch dem rhythmischen Vorboten eines Klanges sehr ähnlich. Denselben tonlosen Rhythmus hatte ich schon einmal gehört.
    Wann war das? Im Tempel? Als ich zum ersten Mal den Raum betreten hatte, in dem Marius sich hinter dem Wandschirm verbarg?
    Über Marmorböden schritt ich von einem Zimmer ins andere. Überall versetzte ein leichter Lufthauch die hängenden Lampen in spielerische Bewegung. Es gab viele Lampen hier. Und dann die Kerzen! Wie viele Kerzen!
    Und Lampen auf Sockeln. Wenn alle Lichter brannten, musste es hier taghell sein!
    Nach und nach erkannte ich, dass die gesamte untere Etage eine einzige Bibliothek war, abgesehen von dem unerlässlichen üppigen römischen Bad und dem riesigen Ankleidezimmer.
    Jeder sonstige Raum war mit Büchern voll gestopft.
    Überall nur Bücher. Natürlich gab es Ruhebetten, auf denen man bequem liegen und lesen konnte, auch Schreibpulte, doch an jeder Wand standen gewaltige Gestelle für Schriftrollen oder Regale mit gebundenen Büchern.
    Und seltsame Türen gab es. Sie schienen zu verborgenen Treppen zu führen. Aber sie hatten keine Schlösser und schienen aus poliertem Granit zu bestehen. Wenigstens zwei solcher Türflächen fand ich! Und eine Kammer im Erdgeschoss war völlig in Gestein eingelassen und ebenfalls durch undurchdringliche Türen verschlossen.
    Während die Sklavenjungen immer noch zitterten und schluchzten, stieg ich in den ersten Stock. Leere. Jedes Zimmer einfach leer, bis auf das, das offensichtlich von den Knaben bewohnt wurde. Da standen ihre Betten und ihre kleinen persischen Altäre und Götterbilder; da gab es dicke Läufer, mit Troddeln versehene Kissen und überall die typisch orientalischen, in Schlangenlinien ver-laufenden Muster.
    Ich ging hinunter. Die Jungen kauerten an der Haustür wie Marmorstatuen; die Knie angezogen, den Kopf darauf gelegt, so weinten sie leise vor sich hin, wenn sie inzwischen vielleicht auch ein wenig erschöpft waren.
    »Wo sind in diesem Haus die Schlafzimmer? Wo schläft Marius? Wo ist die Küche, und wo ist der Schrein für die Hausgötter?«
    Der eine stieß einen erstickten Schrei aus. »Es gibt keine Schlafzimmer.«
    »Wie sollte es auch anders sein«, sagte ich.
    »Das Essen wird uns gebracht«, jammerte der andere.
    »Es kommt fertig gekocht und ist köstlich. Aber ich fürchte, dass wir, ohne es zu wissen, unser letztes Mahl genossen haben.«
    »Ach, nehmt es nicht so schwer. Wie kann Marius euch für etwas tadeln, das ich getan habe? Ihr seid doch noch Kinder, und er ist ein freundlicher Mann, ist es nicht so?
    Hier, legt diese Blätter auf sein Schreibpult, beschwert sie, damit sie nicht fortfliegen können.«
    »Ja, er ist sehr freundlich«, bestätigte der Junge, »aber sehr streng in seinen Gewohnheiten.«
    Ich schloss die Augen. Wieder spürte ich diesen Klang, diesen aufsteigenden eindringlichen Klang. Sollte man ihn hören? Ich konnte es nicht sagen. Er schien unpersönlich zu sein wie der Herzschlag eines Schlafenden oder wie das rieselnde Wasser der Quellen.
    Ich ging hinüber zu einem breiten, prächtigen Ruhebett, das ein Überwurf aus feiner Seide mit persischen Mustern bedeckte. Obwohl es sorgsam geglättet war, zeich-nete sich die Form eines Männerkörpers darin ab. Und auch das Kissen, bauschig und frisch aufgeschüttelt, schien immer noch eine kleine Delle zu haben, wo der Mann gelegen hatte.
    »Liegt er hier?«
    Mit wehenden Locken sprangen die Jungen auf die Fü-
    ße.
    »Ja, Herrin, das ist sein Ruhebett«, sagte der Sprecher der beiden. »Bitte, berührt es nicht. Da liegt er viele Stunden und liest. Bitte, Herrin! Er nimmt es sehr genau damit. Wir dürfen in seiner Abwesenheit auch nicht zum Spaß hier liegen, obwohl er uns sonst in jeder Hinsicht freie Hand lässt.«
    »Er weiß sogar, wenn man es nur berührt hat!«, sagte der andere Junge; er tat zum ersten Mal den Mund auf.
    »Ich werde darauf schlafen«, sagte ich. Ich legte mich darauf nieder und schloss die Augen; ich rollte mich auf die Seite und zog die Knie an. »Ich bin müde. Ich möchte nur noch schlafen. Das erste Mal seit langer

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