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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Feuer verzehrt, ebenso die sich krümmenden Finger und die zuckenden Zehen. Es entstand ein großer Wirbel, ein Feuertanz der Knochen, die sich in den Flammen drehten, und dann verkohlten sie endgültig, zerbrachen knallend in Stücke und Stückchen, bis die Überreste des grausigen Wesens zuletzt in rauchende Asche zerfielen, die knisternd und zischend den Boden bedeckte.
    Abermals kam diese Windböe, die den Duft des Gartens mit sich brachte, wirbelte die Asche hoch und trug sie wie winzige, schwarze, fragile Insekten in das Däm-merlicht des Vorraums.
    Ich war wie gebannt.
    Die Königin thronte wie vorher, die Hände in der gleichen Pose. Sie und der König starrten ins Leere, als wä-
    re nichts geschehen. Nur der scheußliche Fleck auf ihrem Gewand zeugte davon.
    Ihre Augen schenkten weder Marius noch mir Beachtung.
    Dann herrschte nur noch Stille in der Kapelle. Nur süß duftende Stille. Goldenes Licht. Ich atmete tief. Ich konnte hören, wie das Öl in den Lampen von der Flamme verzehrt wurde. Die Mosaiken waren mit fein gestalteten Anbetern bevölkert. Ich konnte wie in Zeitlupe den Beginn des Verfalls bei den Blumen erkennen, und das schien nur eine weitere Melodie desselben Liedes zu sein, das auch ihr Blühen ausdrückte, und ihre sich bräunlich verfärbenden Ränder waren nur eine Variation, die zu den strahlenden Farben nicht im Widerspruch stand.
    »Vergib mir, Akasha«, sagte Marius leise, »dass ich ihn so nahe herankommen ließ. Das war unbesonnen.«
    Ich weinte. Große Tränen strömten aus meinen Augen.
    »Du hast mich zu dir befohlen«, sagte ich unter Tränen zu der Königin. »Du hast mich hierher gerufen! Ich will alles tun, was du verlangst.«
    Langsam hob sich ihr rechter Arm; er löste sich von ihrem Schenkel und streckte sich aus, und ihre Hand bog sich ganz sanft zu der vertrauten winkenden Geste aus dem Traum, doch ich sah kein Lächeln, keine Veränderung in ihrem starren Antlitz.
    Ich spürte, wie etwas Unsichtbares, Unwiderstehliches mich einhüllte. Es kam von ihrem einladend ausgestreckten Arm. Es war lieblich und zärtlich. Es jagte eine Welle heißer Freude durch all meine Glieder und mein Gesicht.
    Ich bewegte mich vorwärts, vollkommen ihrem Willen verfallen.
    »Ich bitte dich, Akasha!«, sagte Marius mit sanfter Stimme. »Ich bitte dich im Namen von Inanna, im Namen von Isis, ich bitte dich im Namen aller Göttinnen, tu ihr kein Leid an!«
    Marius verstand einfach nicht! Er hatte ihren Kult nie gekannt! Ich kannte ihn. Ich wusste, ihre Blut trinkenden Kinder hatten immer nur Übeltäter richten, immer nur von den Verurteilten trinken sollen, wie es ihren Gesetzen entsprach. Ich sah den Gott aus der dunklen Höhle, den ich in meiner Vision gesehen hatte. Ich verstand vollkommen.

    Ich wollte es Marius erklären. Aber ich konnte nicht.
    Nicht jetzt. Die Welt war wieder geboren, alle Systeme, die sich auf Skepsis oder Selbstsucht gründeten, waren zerbrechlich wie Spinnweben und mussten hinweggefegt werden. Meine eigenen Stunden der Verzweiflung waren nichts anderes gewesen als Umwege durch eine unheilige, egozentrische Finsternis.
    »Die Königin des Himmels«, flüsterte ich. Ich wusste, ich redete in der alten Sprache. Meine Lippen wollten ein Gebet formen.
    »Und Amon Ra, der Sonnengott, soll bei all seiner Macht den König der Toten oder seine Braut nicht besiegen, denn sie ist die Herrscherin über den Sternenhim-mel, über den Mond, über die, welche die Übeltäter als Opfer darbringen. Verflucht sei, wer diesen Zauber missbraucht. Verflucht sei, wer ihn stehlen will.«
    Ich spürte, wie ich, ein Mensch, zusammengehalten wurde von den verschlungenen Fäden des Blutes, das ich von Marius bekommen hatte. Ich spürte das Ausmaß dieser Hilfe. Mein Körper, er war schwerelos.
    Ich wurde ihr dargereicht. Ihr Arm legte sich um mich und schob mir das Haar ausdem Gesicht. Ich legte ihr die Arme um den Hals, weil ich nichts anderes tun konnte. Für jede andere Liebesbekundung waren wir uns zu nahe.
    Ich fühlte ihre weichen, seidigen Zöpfe und die Kälte und Härte ihrer Schultern, ihres Armes. Doch sie sah mich nicht an. Sie war aus Stein. Konnte sie mich überhaupt sehen? Blieb sie aus eigenem Antrieb so stumm, während sie vor sich hin sah? Hielt sie ein böser Zauber-spruch in seinem Bann, der sie hilflos machte, eine Beschwörung, aus der sie vielleicht tausend Hymnen wecken könnten?
    In meinem Wahn konnte ich die Worte lesen, die in die goldenen Verbindungsglieder zwischen

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