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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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den Juwelen ihres Halsschmucks eingraviert waren: »Bringt mir den Übeltäter, und ich werde sein Blut trinken.«
    Mir schien, als wäre ich in der Wüste und die Halskette rollte durch den Sand, vom Wind getrieben, wie zuvor die Überreste des Verbrannten. Gefallen, vergangen, um erneuert zu werden.
    Mein Kopf wurde an ihren Hals gezogen. Sie hatte ihre Finger auf meinem Haar gespreizt und schob meinen Kopf in die richtige Richtung, so dass meine Lippen auf ihrer Haut lagen.
    »Das willst du also?«, fragte ich. Aber meine Worte schienen fern von mir, ein armseliger Ausdruck meiner übervollen Seele. »Damit ich deine Tochter sei!«
    Kaum merklich legte sie den Kopf zur Seite, weg von mir, so dass ich ihre Kehle sehen konnte. Ich sah die dargebotene Ader, aus der ich trinken sollte.
    Ihre Finger hoben sich und fuhren sanft durch mein Haar, ohne daran zu reißen, sie umfingen nur meinen Kopf und jagten eine wilde Ekstase durch meinen Körper und drückten mir den Kopf schließlich sacht nach unten, so dass meine Lippen die Berührung mit ihrer schimmernden Haut nicht mehr vermeiden konnten.
    »Oh, meine verehrte Königin«, hauchte ich. Nie hatte ich eine solche Gewissheit gekannt, eine solche Ekstase ohne Grenzen oder irdischen Grund. Nie zuvor hatte ich einen so stürmischen, so triumphierenden Glauben erlebt wie meinen Glauben an sie.
    Ich öffnete den Mund. Kein Mensch hätte dieses harte Fleisch durchdringen können! Dennoch gab es nach, als wäre es zart, und das Blut strömte pulsierend in meinen Körper. »Die Urquelle.« Ich hörte ihr Herz, das sie zum Fließen brachte – eine betäubende Kraft, die mein Trommelfell vibrieren ließ. Das war kein Blut. Das war Nektar. Es war alles, was ein Geschöpf je begehren konnte.

    9

    Als der Nektar in mich hineinrann, tat sich mir ein anderes Reich auf. Ihr klingendes Lachen hallte im Gang wider; sie lief vor mir her, mädchenhaft, katzenhaft, frei von hehrer Größe. Sie winkte mir, ihr zu folgen. Draußen unter den Sternen saß Marius allein in seinem stillen, ge-staltlosen Garten. Sie deutete auf ihn. Ich sah, wie Marius aufstand und mich in seine Arme nahm. Mit seinen langen Haaren sah er besonders schön aus. Ich merkte, worauf sie hinauswollte. Es war Marius, den ich bei dieser Vision küsste, als ich von ihr trank; mit Marius tanzte ich!
    Blütenblätter regneten auf uns herab wie auf ein römisches Brautpaar, und Marius hielt meinen Arm, als wären wir gerade getraut worden, und um uns herum wurde gesungen. Ungetrübtes Glück herrschte, ein Glück so stark, dass manche Sterbliche ihm vielleicht nicht gewachsen wären.
    Sie stand auf einem breiten Altar aus schwarzem Diorit.
    Es war Nacht. Ein umfriedeter Platz voller Menschen, aber es war dunkel und auch kühl in dem sandigen Wind, der von der Talsohle kam, und sie sah auf den Mann hinunter, der ihr geopfert werden sollte. Er hatte die Augen geschlossen, seine Hände waren gefesselt. Er wehrte sich nicht.
    Sie zeigte ihre Zähne; Laute des Erschreckens erhoben sich aus der Menge der Anbeter auf dem Platz, und dann packte sie den Mann bei der Kehle und trank sein Blut.
    Als sie fertig war, ließ sie ihn fallen und warf die Arme hoch.
    »Alles wird rein in mir!«, rief sie. Wieder regnete es Blü-
    tenblätter in allen Farben des Regenbogens, und Pfauen-federn und Palmblätter wehten um uns, und in starken Wellen brandete Gesang auf, dröhnte eine wilde Trommel. Und von ihrem Standort sah sie lächelnd auf all das nieder, das Gesicht auffallend erhitzt, lebhaft und menschlich, während die schwarz umrandeten Augen über die Andächtigen huschten.
    Alle begannen zu tanzen, nur sie schaute zu; und dann hob sich langsam ihr Blick, und sie sah über die Köpfe hinweg durch die hohen, rechteckigen Fenster des Platzes in das funkelnde Himmelsgewölbe. Flöten erklangen.
    Der Tanz war zur Raserei geworden.
    Ein dunkler Schatten stahl sich in ihr Gesicht, eine mü-
    de, geheimnisvolle Zerstreutheit, als wäre ihre Seele ausgezogen, dem Himmel entgegen, und dann sah sie traurig zu Boden. Sie wirkte verloren. Zorn überkam sie.
    Sie rief mit ohrenbetäubender Stimme: »Der schändliche Bluttrinker!« Die Menschen verstummten. »Bringt ihn zu mir!«
    Die Menge machte Platz für den wütend um sich schla-genden Gott, der gewaltsam vor ihren Altar gezerrt wurde.
    »Du wagst es, über mich zu urteilen!«, schrie er. Er war Babylonier, mit dichten, langen, lockigen Haaren und Bart. Zehn Sterbliche mussten ihn

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