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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Empfindungen hatte ich noch nie erlebt! Ein weiterer Krug voll spülte über mich hinweg, köstlich! Eine Sekunde lang glaubte ich, der Schmerz käme zurück, doch nein, es war endgültig vorbei.
    »Ich liebe dich von ganzem Herzen«, sagte ich. »Meine ganze Liebe gehört ihnen und dir, Marius. Marius, ich kann im Dunkeln sehen, selbst in dem tiefen Dunkel unter den Bäumen.«
    Marius hielt mich. Die beiden Knaben badeten uns beide: Immer wieder tauchten sie ihre Krüge ein und gossen das silbrige Wasser über uns aus.
    »Ach, dich bei mir zu haben«, sagte Marius, »dich hier zu haben, nicht mehr allein zu sein, sondern mit dir zusammen, meine Schöne. Von allen Menschen ausgerechnet du! Du!« Er trat einen Schritt zurück, und ich freute mich an ihm; triefend nass, wie ich war, streckte ich die Hand aus, um sein langes, wildes, fremdartiges Haar zu berühren. Sein ganzer Körper glitzerte von den Wassertropfen.
    »Ja«, sagte ich, »genau das wollte sie.«
    Sein Gesicht erstarrte. Er blickte finster. Er sah mich durchdringend an. Eine Wandlung war mit ihm vorge-gangen, und zwar zum Negativen. Das spürte ich.
    »Was?«, fragte er.
    »Sie wollte es. Sie hat es mir in den Visionen ganz deutlich gezeigt. Sie wollte, dass ich bei dir bin, damit du nicht allein bist.« Er trat einen Schritt zurück. War es Zorn?
    »Marius, was ist los mit dir? Siehst du denn nicht, was sie getan hat?«
    Abermals wich er zurück, fort von mir.
    »Hast du nicht gemerkt, was geschehen ist?«, fragte ich.
    Die Knaben reichten uns Handtücher. Marius nahm eins und trocknete sein Gesicht und Haar.
    Ich machte es ihm nach.
    Er war wütend. Er bebte vor Zorn.
    Das war ein Augenblick, in dem sich unerklärliche Schönheit und Entsetzen mischten – dort sein weißer Körper, das Glitzern des Wasserbeckens, das Licht, das aus den offenen Türen des Hauses in die Dunkelheit fiel, und über uns die Sterne, ihre Sterne. Und dann der zornige, drohende Marius, in dessen Augen sich Empörung spiegelte.
    Ich sah ihn an.
    »Ich bin nun ihre Priesterin«, erklärte ich. »Ich muss ihren Kult wieder aufleben lassen. Es ist ihr Wille. Aber sie hat mich auch deinetwegen hierher geführt, weil du allein warst«, sagte ich. »Marius, ich habe das alles schon gesehen. Ich sah unsere Hochzeit, in Rom, es war wie in den alten Zeiten, als wären unsere Familien bei uns. Ich sah auch ihre Anhänger.«
    Er war offensichtlich entsetzt.
    Ich weigerte mich, es wahrzunehmen. Bestimmt verstand ich ihn falsch.
    Ich stieg aus dem Becken ins Gras und ließ mich von den beiden Knaben abtrocknen. Ich schaute zu den Sternen auf. Das Haus mit all seinem warmen Licht schien unfertig und zerbrechlich, ein stümperhafter Versuch, eine Ordnung zu schaffen, die in nichts mit der Er-schaffung einer einzigen vollendeten Blume verglichen werden konnte.
    »Oh, wie imposant ist doch die einfache Nacht«, sagte ich. »Hier von Zweck und Absicht zu sprechen ist, als schmähte man die Nacht, da allein schon dieser gewöhnliche Moment vollkommen erfüllt ist von einem heiligen Plan und Frieden. Alle Dinge folgen ihrem vorbestimmten Kurs.«
    Ich trat zurück und drehte mich wirbelnd um mich selbst, dass die Wassertropfen nur so flogen. Ich war so stark. Als ich innehielt, war mir nicht einmal schwindelig.
    Ich hatte ein Gefühl unbegrenzter Macht.
    Einer der Knaben reichte mir eine Tunika. Sie war für einen Mann bestimmt, aber wie ich ja schon häufiger er-wähnte, sind römische Gewänder sehr schlicht geschnitten. Es war einfach eine kurze Tunika. Ich legte sie an und ließ mir den Gürtel um die Taille binden, dabei lä-
    chelte ich den Knaben an. Er zitterte und entfernte sich von mir.
    »Trockne mir das Haar!«, befahl ich ihm. Ach, welche Empfindungen!
    Ich hob langsam den Blick. Auch Marius war inzwischen bekleidet. Immer noch betrachtete er mich mit wü-
    tendem Protest und unverhüllter Entrüstung.
    »Jemand muss hineingehen«, sagte ich, »und ihr das goldene Gewand wechseln. Dieser Gotteslästerer, er hat sie mit Blut besudelt.«
    »Ich werde das machen!«, sagte Marius sichtlich er-zürnt.
    »Ach, so ist das«, sagte ich. Ich schaute um mich, von der Schönheit ringsum verleitet, die seine einfach zu vergessen und erst später wieder zu ihm zu gehen, nachdem ich unter den Olivenbäumen umhergestreift wäre und mich mit den Sternbildern beschäftigt hätte.
    Aber sein Zorn verletzte mich. Die Kränkung war seltsam und ging tief, ohne die verschiedenen Stadien, die das sterbliche

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