Annebelle - sTdH 2
lich und
aufmerksam zuhörte und selbst nicht viel redete. Minerva kam zu dem Schluß,
Annabelle benehme sich wirklich tadellos, und ging zu ihrem Verlobten.
»Sieht Annabelle
nicht großartig aus?« fragte sie.
Lord
Sylvester hob sein Monokel und musterte Annabelle, der es gelungen war, die
vier jungen Herren der Gesellschaft auf ihre Seite zu ziehen.
»Sie ist
sehr schön«, sagte er und ließ sein Glas sinken. »Leider ist sie sich dieser
Tatsache nur allzu bewußt.«
»Du bist zu
hart, Liebster. Sie ist noch so jung.«
Lord
Sylvester lächelte zu Minerva herunter. »Wenn du mich ›Liebster‹ nennst,
kann ich nur daran denken, daß es schon zu lange her ist, seit ich dich in den
Armen hielt.«
»Ich habe
dich gestern abend geküßt«, sagte Minerva errötend. »Ich dachte an etwas
Intimeres.«
Minerva
errötete tiefer. »Ich glaube, was wir in jener Nacht getan haben, war eine
Sünde«, flüsterte sie. »Die Umstände waren so eigenartig, lieber Sylvester.
Ich dachte, du könntest bei einem Duell getötet werden, sonst hätte ich nie ..., würde nie ...«
»Oh, spröde
Minerva. Willst du mich bis zur Hochzeit warten lassen?«
»Ja ... Nein
– ich weiß nicht.«
Ein
plötzliches, überlautes Auflachen von Annabelle ließ Minerva ängstlich
herumfahren.
»Dieses
Mädchen ist ziemlich hämmungslos«, kommentierte Lady Godolphin in der
Nähe.
In diesem
Augenblick fing Annabelle den tadelnden Blick ihrer Schwester auf und wurde
sofort wieder zum Bild eines bescheidenen jungen Mädchens. Doch obwohl sie ihr
kleines Gefolge völlig bezaubert hatte, hatte sie aus dem Augenwinkel eifrig
das Gespräch zwischen Lord Sylvester und ihrer Schwester beobachtet. Sie sahen
nicht wie ein verliebtes Paar aus, dachte Annabelle, die nicht wußte, daß Lord
Sylvesters zurückhaltendes Benehmen diesmal wirklich das eines Mannes war, der
seine Leidenschaft bezähmt.
Zu ihrer
Enttäuschung stellte Annabelle fest, daß sie beim Dinner nicht neben Lord
Sylvester saß. Tatsächlich hatte man sie als den am wenigsten
vornehmen Gast zwischen Mr. Charles Comfrey und Mr. John Frampton plaziert.
Aber Mr.
Frampton sah sehr gut aus. Annabelle beschloß festzustellen, ob sie Lord
Sylvester eifersüchtig machen könnte. Man hatte keine Rücksicht auf ihre Jugend
genommen und Wein vor sie hingestellt statt Limonade.
Annabelle
hatte an Festtagen und in den Ferien schon manchmal ein Glas Wein getrunken,
doch dieser Wein war stark mit Brandy versetzt. Außerdem wirkte sich jetzt die
anstrengende Reise aus, und so kam es, daß sie sich allmählich sehr gehoben,
sehr faszinierend und sehr schön fühlte. Sie sonnte sich in der warmen
Bewunderung in Mr. Framptons Augen und hörte kaum zu, was er sagte, bis etwas
ihre Aufmerksamkeit erregte. Mr. Frampton sprach über seinen jüngeren Bruder in
Cambridge, der seine Prüfungen außergewöhnlich glänzend bestanden hatte.
Das,
beschloß Annabelle, war die Gelegenheit, etwas von dieser wunderbaren
Kutschersprache anzubringen.
»Ich habe
einen Freund im College«, sagte sie munter. »Knast nennt er es. Er zahlt
Schmiergeld, damit er einen Raum für sich allein hat. Nicht, daß er viel Geld
hätte. Ich sagte ihm, er solle nicht in dieser Spelunke spielen. Der
griechische Elfenbeindreher hat ihn mit gezinkten Würfeln drangekriegt, und
jetzt ist der arme Barry im Eimer.«
Betretenes
Schweigen trat ein. Mr. Frampton nahm ein großes Taschentuch heraus und schien
sich die Nase zu schneuzen. Endlich tauchte er wieder daraus hervor und sagte
mit erstickter Stimme: »Meine Güte, haben Sie viele Freunde im
Gefängnis, Miss Annabelle?«
»Ich
verstehe nicht«, sagte Annabelle bestürzt.
Er sah sie
forschend an. Seine blauen Augen zwinkerten. »Wissen Sie, was Sie gerade gesagt
haben?«
»Natürlich.«
»Nun,
nehmen wir an, Sie wüßten es nicht. Sie sagten, Sie hätten einen Freund, der
im Knast oder College ist, ein Unterweltausdruck für Gefängnis. Vermutlich ist
er dort gelandet, weil er Schulden gemacht hat, nachdem er in einer Spielhölle
mit markierten Würfeln gespielt hatte. Schmiergeld zu zahlen ist die einzige
Art und Weise, wie man in manchen Gefängnissen eine Zelle für sich allein
bekommen kann – man bezahlt seine beiden Zellengenossen dafür, daß sie auf der
Treppe schlafen. Und was den Ausdruck ›im Eimer‹ betrifft – nun, Miss Armitage,
ich hoffe, daß Sie nicht wissen, was er bedeutet, und ich kann Sie nur
bitten, ihn nie wieder zu benutzen.«
Er lächelte
sie
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