Annebelle - sTdH 2
mitfühlend an und wandte sich dann einem Gespräch mit Sally Abernethy zu,
die auf seiner anderen Seite saß.
Annabelle
saß reglos da. Ihr Gesicht war scharlachrot. Sie brauchte eine Weile, ehe sie
bemerkte, daß Mr. Charles Comfrey, ihr anderer Tischherr, mit ihr sprach. Eine
Zeitlang tat sie, als höre sie ihm zu, bis sie ihre Fassung zurückgewonnen
hatte. Das gelang ihr so gut, daß sie, als Mr. Frampton sich ihr wieder
zuwandte, scheinbar unbefangen sagen konnte: »Sie müssen mir verzeihen, Mr.
Frampton. Meine lose Zunge geht immer mit mir durch. Ich habe nur Spaß gemacht.
Ich entschuldige mich.«
»Ihre
Entschuldigung ist angenommen«, sagte er lächelnd. »Ich bin wirklich nicht so
leicht zu schockieren, wissen Sie. Und Sie haben mich tatsächlich angeführt,
ich dachte, Sie meinten es ernst. Ich hätte nie gedacht, daß ich solche Worte
von zwei so schönen Lippen hören würde.«
»Aber Mr.
Frampton«, protestierte Annabelle, hob ihren Fächer und sah ihn darüber hinweg
mit ihren großen blauen Augen an. »Jetzt schockieren Sie mich!«
Bis die
Tafel aufgehoben wurde, flirteten sie so angenehm miteinander, daß Annabelle
wesentlich mehr Wein trank, als ihr guttat.
Minerva,
die am anderen Tischende saß, konnte ihre Schwester nicht sehen und nahm an,
alles sei in bester Ordnung.
Als die
Damen sich in die Lange Galerie zurückzogen, um die Herren ihrem Wein zu überlassen,
machte Annabelle sich allein auf den Weg, um die Familienporträts zu studieren.
Sie stand da, die Hände auf den Rücken gelegt, und wirkte wie ein wohlerzogenes
Kind; Minerva ließ sich beruhigt neben der Herzogin nieder.
Erst als
die Herren sich wieder zu den Damen gesellten, merkte Minerva allmählich, daß
etwas nicht stimmte.
Annabelle
begann, um es gelinde auszudrücken, unangenehm aufzufallen. Minerva konnte
nicht hören, was sie gerade sagte, weil die Herzogin
ihr einen Vortrag über Vorhangstoffe hielt, doch an den ausgreifenden
Armbewegungen und dem geröteten Gesicht ihrer Schwester erkannte sie, daß
Annabelle über sich hinauswuchs.
Sie blickte
auf und begegnete Lord Sylvesters Blick. Mit einem verzweifelten, stummen
Hilferuf nickte sie in Annabelles Richtung.
Lord
Sylvester schlenderte zu der Gruppe von vier Herren und fünf Damen, die
Annabelle umstand.
Als er
ankam, hörte die Herzogin zu sprechen auf. Minerva beobachtete Annabelle
ängstlich, und in die Stille hinein sagte Mr. Charles Comfrey: »Ich meine,
glauben Sie, daß Brummel meinen grünen Rock gutheißen wird, wenn ich ihn bei
Almack's vorführe, oder wird er mir eine seiner berühmten Abfuhren erteilen?«
Und klar
wie eine Glocke schallte Annabelles überlaute Stimme durch die Lange Galerie:
»Oh, Sie müssen vorsichtig sein. Kein Gentleman trägt mehr Grün. Es ist ein so
schrecklich Alter Hut.«
Verblüfftes
Schweigen breitete sich aus.
»Unerhört!« zischte Lady
Coombes, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Die jungen
Damen sahen bestürzt aus. Mr. Frampton wandte sich ab, um sein Lachen zu
verbergen, Mr. Charles Comfrey wirkte schwer betroffen, Mr. Harry Comfrey
murmelte »Guter Gott«, Lord Paul Chester hob sein Lorgnon und studierte
Annabelle neugierig, als habe er soeben eine seltene Art von Küchenschabe
entdeckt, und Lord Sylvester trat mit seinem charmanten Lächeln vor und sagte:
»Ich glaube, wir sollten ein wenig tanzen, um den Damen Freude zu machen. Den
ersten Tanz habe ich Miss Annabelle versprochen.«
Annabelle
nahm dankbar seinen Arm. Sie war sich klar darüber, daß sie etwas schrecklich
Falsches gesagt hatte, doch Lord Sylvesters Vorschlag wurde von den Damen
sofort mit freudigen Ausrufen begrüßt. Seine Mutter, erklärte Lord Sylvester,
habe für den Abend Musiker engagiert.
In diesem
Augenblick wurden die Musiker durch eine Tür am anderen Ende der Galerie
geführt, und bald waren alle, mit Ausnahme von Lady Godolphin, Minerva und
Colonel Brian, mit einem volkstümlichen Tanz beschäftigt.
»Was hat
meine Schwester denn Falsches gesagt?« erkundigte sich Minerva bei Lady
Godolphin.
»Das werde
ich nicht sagen«, erklärte die Dame rundheraus. »Ich möchte meine Lippen nicht
beschmutzen.«
»O Gott«,
sagte Minerva traurig.
»Außerdem
wirkt sie auf mich einfach beschwipst«, sagte Lady Godolphin. »Am besten
schaffst du sie ins Bett, wenn dieser Tanz vorüber ist.«
Minerva
wartete, so geduldig sie konnte. Endlich war der Tanz zu Ende, und Annabelle
sank vor Lord Sylvester in einen tiefen Knicks. Dann merkte
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