Annebelle - sTdH 2
Saum mit kleinen Knöpfen besetzt. Die langen Ärmel
umschlossen eng die Handgelenke.
Aber
Annabelle hatte eine Rolle zu spielen, und sie wollte sie gründlich spielen.
Betty wurde entlassen, nachdem sie ihr in Unterwäsche und Kleid geholfen hatte.
Das Haar wollte Annabelle selbst frisieren.
»Jetzt«,
dachte Annabelle, während sie sich an den Toilettentisch setzte und ihr blasses
Gesicht studierte, »muß ich sehr ruhig aussehen und ein bißchen nach Krankenschwester.«
Sie
bürstete ihr langes blondes Haar, bis es knisterte, und steckte es dann zu
einem Knoten auf dem Oberkopf fest. Nur eine Lockensträhne durfte
herunterhängen.
Dann
öffnete sie eine kleine, verschlossene Kiste, in der sie ohne Wissen ihrer Eltern
ihre Schönheitsmittel aufbewahrte.
Annabelle
stellte bessere Schönheitsmittel her als irgend jemand sonst zwischen Hopeworth
und Hopeminster und hatte sich oft ein Nadelgeld verdient, indem sie sie an die
Frauen des Dorfes verkaufte.
Sie nahm
einen weißen Fettstift heraus und betrachtete ihn nachdenklich. Er war aus
präpariertem Kalk, Zinkoxyd, Wismutnitrat, Asbestpuder, süßem Mandelöl,
Kampfer und Pfefferminzöl gemischt. In der Verborgenheit ihres Schlafzimmers
hatte sie zwar damit experimentiert, ihn aber noch nie in der Öffentlichkeit
getragen.
Sehr
vorsichtig und sorgfältig behandelte sie ihr Gesicht damit und achtete darauf,
nicht zuviel aufzulegen. Die beliebtesten Rougetöne waren Hellrot, Dunkelrot
und Zinnoberrot, doch die geschickte Annabelle hatte sich selbst ein blaßrosa
Rouge hergestellt.
Statt einen
Kreis auf jede Wange zu malen, trug sie es sehr sorgfältig auf und verrieb es
mit der weißen Fettschminke. Dann folgte der rosa Reispuder, den sie aus
Maisstärke, pulverisiertem Talkum, Rosenöl und Jasmin-Extrakt bereitet hatte.
Zart betupfte sie ihr Gesicht mit der Hasenpfote, lehnte sich zurück und
betrachtete stirnrunzelnd ihr Spiegelbild. Annabelles Wimpern waren so dicht
wie die von Minerva, aber sie waren hell.
Nach
einigem Überlegen nahm sie ein Stäbchen aus Orangenholz, ging hinüber zu einer
der Lampen und kratzte etwas vom Lampenruß ab. Dann kehrte sie zum Spiegel
zurück und trug das Schwarz auf die Wimpern auf, bis diese dunkel genug waren,
um gerade noch natürlich auszusehen und nicht so schwarz, daß sie geschminkt
wirkten.
Sie hörte
draußen im Korridor einen leichten Schritt, stopfte ihre Kosmetika hastig
zurück in die Blechkiste und schlug den Deckel zu, gerade, als Minerva eintrat.
»Oh,
Annabelle«, sagte Minerva, die für den Augenblick die Straf predigt vergaß,
die zu halten sie gekommen war. »Du hast noch nie besser ausgesehen. Wenn du in
die Gesellschaft eingeführt wirst, wirst du das schönste Mädchen sein, das
London je gesehen hat!«
»Danke«,
sagte Annabelle und senkte die Lider, um eine plötzliche Gereiztheit zu
verbergen. Warum mußte Minervas Lob immer so großzügig und aufrichtig sein?
Sicher empfand sie ein bißchen Eifersucht. Sie selbst war nämlich recht
erfreut zu sehen, daß Minerva eine Spur abgehärmt aussah und dunkle Ringe unter
den Augen hatte.
Dann
schossen ihr einige große und höchst unmädchenhafte Gedanken darüber durch den
Kopf, wie Minerva zu diesen Zeichen der Erschöpfung kam, und sie war
entschlossener denn je, ihre Schwester aus der Fassung zu bringen. Wir wollen
doch einmal sehen, wie sich die reizende Minerva fühlt, wenn sie merkt, daß sie
ihre famose Hochzeit mit ihrer Schwester teilen muß, dachte Annabelle.
Ein Gutes
aber hatte die Sache. Wenn Minerva die Schminke nicht bemerkt hatte und annahm,
Annabelles strahlender Teint sei das Ergebnis natürlicher Schönheit, dann
würden auch alle anderen so denken.
Sie fühlte
sich jetzt gefaßt, hob die Augen zu ihrer Schwester auf und sagte rasch:
»Merva, ich weiß, daß du gekommen bist, um wegen gestern abend mit mir zu
schimpfen. Aber was habe ich eigentlich so Schlimmes gesagt?«
»Ich habe
Sylvester gefragt«, sagte Minerva, »und du mußt verstehen, daß das, was du
gesagt hast – in aller Unschuld – tatsächlich ein niedriger Jargonausdruck ist,
der nie über die Lippen einer Dame kommen sollte. Ich bin froh, daß du die
Gesellschaft so früh verlassen hast. Wenigstens das beweist etwas
Vernunft. Ich bin sicher, jeder wird erkennen, daß du etwas übermütig warst; du
bist nicht an so viel Wein und so späte Stunden gewöhnt. Mehr werde ich jetzt
nicht sagen ...«
»Gut«,
sagte Annabelle heftig.
»Der
Marquis von Brabington ist
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