Annebelle - sTdH 2
Annabelle! Liebst du Lord Brabington?«
»Natürlich,
du Gans. Ich heirate ihn doch schließlich, oder?«
»Ja«, sagte Minerva halb zu
sich selbst. »Doch wenn du so verliebt bist, warum ist dir dann dein
Hochzeitskleid so wichtig?«
»Da du
selbst ein sehr schönes hast, kannst du ja über solche Nebensächlichkeiten
erhaben sein«, höhnte Annabelle.
»Vielleicht
habe ich mich zu sehr daran gewöhnt, mit dir wie mit einem Kind zu sprechen«,
sagte Minerva langsam. »Ich mache mir Sorgen um dich, Annabelle. Mamas häufige
Krankheiten, eingebildet oder nicht, haben mir eine gewisse Verantwortung
auferlegt. Ich betrachte dich noch immer als Kind, das mir anvertraut ist.
Siebzehn Jahre sind schließlich noch kein sehr hohes Alter.«
»Ich hin
alt genug, um deine ständigen Vorträge und Moralpredigten übelzunehmen.«
»Halte ich
die wirklich?« fragte Minerva traurig. »Vermutlich. Sylvester sagt, der
eigentliche Prediger der Armitage-Familie sei ich.«
»Ja?« sagte
Annabelle, deren Miene sich aufhellte. »Sag mir, Minerva, haben viele der
vornehmen Ladys Affären?«
»Ich
fürchte, ja«, erwiderte Minerva leise. »Du solltest sie sehen, Bella. Sie sind
bemitleidenswert, ruhelos, hungrig. Es ist ein Glück, daß ein solches Leben für
uns nie in Frage käme. Aber warum in aller Welt stellst du mir eine solche
Frage?«
»Weil ich«,
antwortete Annabelle, beugte sich hinüber zu ihrer Schwester und umarmte sie
herzlich, »das Thema wechseln wollte. Ich bin so tolpatschig, du mußt mir
verzeihen. Mir macht das ganze Getue Angst, Minerva, darum bin ich so
mürrisch.«
»Oh, Bella,
mir auch«, sagte Minerva erleichtert und umarmte ihrerseits die Schwester.
»Aber wir werden wenigstens zusammen sein.«
Annabelle
lehnte sich in ihre Ecke der Kutsche zurück und war sehr mit ihren Gedanken
beschäftigt. Lord Sylvester würde Minervas bald müde werden. Und vielleicht
wäre er froh, ein wenig mit einer so reizenden
jungen Frau wie der Marquise von Brabington flirten zu können. Sie konnte
beinah hören, wie er sagte: »Du langweilst mich, Minerva. Ich wünschte, ich
hätte deine Schwester geheiratet.«
Gerade
wollte sie sich genußvoll in diese rosigen Phantasien versenken, als sie
gereizt bemerkte, daß Minerva wieder mit ihr sprach.
»Und du
solltest nicht so hart über Lady Godolphin urteilen«, sagte Minerva gerade. »Es
ist außerordentlich freundlich von ihr, uns nach London einzuladen.«
»Und wer
bezahlt die Rechnungen, bitte?«
»Nun ja,
Sylvester sagte, er würde ihr alle Auslagen, die sie für uns hat, ersetzen,
aber sie müßte uns ja nicht einladen.«
Annabelle
rümpfte die Nase. »Vermutlich kann sie amüsant sein. Sie ist eine Art
wandelndes Gesellschaftspiel. Es war lustig zu sehen, wer von uns jeweils
erraten konnte, was sie mit ihren schrecklichen Wortverdrehungen meinte. Die
letzte hat aber niemand gelöst. Was hat sie gemeint, als sie sagte, das Porträt
am Ende der Langen Galerie, direkt über den Meißen-Figuren, sei
›Katterchintzi‹? Niemand konnte es erraten, und Mr. Frampton hat einen
Preis von fünf Guineen für die richtige Antwort ausgesetzt.«
Minerva
lächelte. »Mylady meinte quattrocento. Lord Sylvester war der Gewinner.«
»Nun, ich
war froh, daß Papa nicht allzulange blieb. Er war ja ganz närrisch mit Lady
Godolphin. Colonel Brian fand das gar nicht amüsant.«
»Papa war
doch nur galant«, sagte Minerva. »Ich wünschte, Colonel Brian und Lady
Godolphin würden ihre Verbindung legalisieren.«
»Legalisieren?
Du meinst heiraten? Du meinst, er – sie? Oh, nein, Minerva. Sie sind zu
alt.«
»Es
scheint, daß einige von uns nie aus ihren Leidenschaften herauswachsen«, seufzte
Minerva. »Aber was mir Sorgen macht, ist – du mußt mir versprechen, es keiner
Menschenseele zu sagen, Bella, nicht einmal Peter.«
»Versprochen«,
sagte Annabelle eifrig, entzückt, daß ihre spröde Schwester über Klatsch nicht
erhaben war.
»All das
ist ziemlich skandalös, weißt du, aber in gewisser Weise auch ziemlich traurig,
denn Colonel Brian war verheiratet, und seine Frau war
dauernd kränklich. Aber Lady Godolphin erwartet nicht, daß Colonel Brian ihr
die Ehe anträgt, weil – weil sie nicht weiß, daß seine Frau vorigen Sommer
gestorben ist. Natürlich sollte er mindestens die einjährige Trauerfrist
einhalten, doch Sylvester sagte mir, Lady Godolphin sei über den Tod von Mrs.
Brian in Unkenntnis gehalten worden, und der Colonel sei sogar so weit gegangen,
die Zeitungen
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