Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
vor dem Haus stehen. Ihre kochfertigen Hühner allerdings nimmt sie mit hoch in den ersten Stock zu ihren drei Gefriertruhen, ihren Schatzkisten.
Drinnen sitzt der Alois und raucht. Endlich. Endlich Schluss mit dem Gemetzger in der Küche. Er wird so etwas nie machen, noch nicht einmal dann, wenn die Anni einmal krank ist. »Bei mir werden die Tiere einfach älter«, hat der Alois beschlossen. Wieder pfeift er vor sich hin, sein tonloses Lied. Heute zum ersten Mal. Der Schlachttag ist vorbei.
Altweibersommer
T ausend kleine Tauperlen glitzern an diesem frühen Dienstagmorgen. Draußen ist es noch frisch, aber schon jetzt, um 8 Uhr früh, verspricht die herbstliche Sonne einen warmen Tag – einen richtigen Altweibersommer. Dünne Fäden bilden filigrane Netze auf dem Boden, ein Werk der Baldachinspinnen, die gern nach einer kalten Nacht bei den ersten Plusgraden ihre Spinnweben knüpfen. Und so ist das Wort »Altweibersommer« auch nicht frauenfeindlich, sondern es stammt aus dem Althochdeutschen, wo das Wort »weiben« das Knüpfen der Spinnweben umschreibt.
Knallrot, goldgelb und dunkelorange leuchten die Blätter an den Bäumen. Ein Luftzug schaukelt sie leicht hin und her, vielleicht ihr letztes Wogen im milden Herbst. In Amerika nennt man die Tage, an denen das Laub so intensive Farbtönungen erreicht, Indian Summer , in Hilgenreith ist man weniger poetisch.
In der Küche hat die Anni heute schon ihren alten Ofen angeheizt. An diesem wunderbaren Spätsommertag gibt es bei den Sigls eine gebratene Ente mit Blaukraut und Knödeln zum Essen. Für andere Leute eher ein Braten, den man am Sonntag kocht, für die Anni ein Werktagsbraten – am Sonntag hat sie für die große Küche keine Zeit. Denn da kommen meist schon mittags Besucher, die Annis Obstgarten und ihre Hühner besichtigen wollen.
Großzügig salzt sie nun das nackte, voluminöse Vieh, das die drei Monate seines Lebens bei der Anni verbracht hat und jetzt zum krönenden Abschluss in ihre Backröhre darf. Schnell an den dicken Schenkeln gepackt, wird der Braten hin und her gewendet und ordentlich gepfeffert, denn das Tier soll nach etwas schmecken. Eine niederbayerische Bauernente, prachtvoll, dick und gestopft mit der Ernte aus dem eigenen Garten – Petersilie, Knoblauch, Zwiebel, Karotten und Sellerie. Haute Cuisine à la Hilgenreith. Das alles geht zügig, denn die Anni hat nicht ewig Zeit. Ofentür auf – und ab damit, ab in die Hitze für zweieinhalb Stunden.
In Annis Backröhre dürfen nur die eigenen Zöglinge. Denn mit Tieren von anderen Züchtern hat sie schlechte Erfahrungen gemacht: »Einmal habe ich eine Ente vom Nachbarort gegessen, das Fleisch war vielleicht schwammig, da habe ich gesagt, nein, keine zweite esse ich nicht mehr, eine fremde.« Eine fremde Ente? Migranten aus den anderen Bauernhöfen in Innernzell? Nein, der Integrationsversuch ist bei der Anni gründlich geschei tert. Und während die Holzscheite laut im Ofen knacken, hört man langsam das Brutzeln, das Anbraten der Ente. Immer wieder muss Anni Wasser nachgießen, wobei es jedes Mal laut zischt.
Der Alois hört dem Küchenlärm ohne großes Interesse zu, während er sein einziges Paar Turnschuhe anzieht: Über ihm hängen alte Familienfotos, die kunterbunt durcheinandergemischt sind. Von der eigenen Hochzeit bis zu den Enkeln dürfen hier Erinnerungen unbeachtet am Alltag der Sigls teilnehmen. Ein altes Schwarz-Weiß-Foto zeigt Anni und Alois frisch verheiratet neben den Eltern vom Alois – auf dem gleichen Sofa und an den gleichen Stellen, an denen sie heute noch gern sitzen.
»Deine Mutter war ein guter Mensch«, sagt die Anni über ihre Jahre als Schwiegertochter. »Aber dein Vater war richtig unleidlich zu ihr«, erinnert sie sich, während sie den mageren Mann mit dem kleinen Schnauzer auf dem Foto betrachtet. Auch der Alois mag seinen Vater nicht verteidigen, im Gegenteil: »Der hat sich den ganzen Tag nicht stillhalten können«, seufzt der sensible alte Mann. »Ja, der wenn sich fünf Minuten hinsetzen musste, dann war er unleidlich«, pflichtet ihm die Anni bei, während sie den Alois mustert, wie langsam er sich die Schuhbänder zubindet.
Endlich fertig, steht der Alois bedächtig auf, um etwas zu holen. Noch als er kaum an der Türe steht, flüstert mir die Anni zu:
Leicht habe ich es hier nicht gehabt, von Anfang an. Wir haben 1961 geheiratet und zehn Monate später war das erste Kind da, der Alois. 1964 kam der Werner auf die Welt, 1969 der Robert
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