Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
gern im Wald, er schätzt die gute Luft und lauscht dem Pfeifen der Vögel. Schnell muss es nicht gehen, er ist ja sein eigener Herr und die Anni ist auch nicht da, die ihn antreiben würde. »Wenn du keinen Wald nicht hast, dann musst du alles Holz kaufen«, meint der sehnige alte Mann. Und so verbringt er viele Stunden im Wald.
Aber pünktlich eine Viertelstunde vor 12 Uhr mittags verlässt der Alois sein Rückzugsgebiet, stellt den Traktor in der Halle ab, kommt in die Stube rein und geht in Turnschuhen Richtung Esstisch. Weil so genau, so geschleckt geht es bei den Sigls nicht zu. Da müssen nicht alle Teller und Bestecke vom Dekor her zusammenpassen, nicht Servietten am Tisch liegen und alle Anwesenden die Straßenschuhe ausziehen.
Etwas später sitzen Anni und Alois über Eck an ihrem Küchentisch, Ente, Blaukraut und Knödel auf ihren Tellern. Die Knödel tunken sie in die Reine ein, die voller Sauce ist. Eine extra Schüssel für die Sauce – viel zu umständlich. »Mistvieh!«, schreit die Anni plötzlich und haut kräftig auf ihren Oberarm. Endlich hat sie eine der letzten Fliegen im Jahr erwischt, die sie gerade jetzt beim Essen stören muss. Der Alois bleibt davon ungerührt, auch der Appetit vergeht ihm nicht. Er isst einfach weiter, ein großer Fleischesser ist er sowieso nicht. Und das ist ein ganz schönes Schicksal, wenn man weiß, dass die Anni 35 Enten im Jahr nur für sich und den Alois kocht.
Nach dem fetten Mahl legt der Alois sich oft für ein paar Minuten auf das Sofa für ein Mittagsschläfchen. Die Katze Mauckei liegt dann gern auf ihm und schnurrt leise und hingebungsvoll. Gerade als dem Alois die Augen zufallen wollen, stört ein lautes »Peng – peng!« die mittägliche Pause. Erschreckt springt die Katze auf, der Alois bleibt aber ungerührt, denn er kennt den Übeltäter.
Mitten im herbstlich leuchtenden Obstgarten steht die Anni mit einer Schreckschusspistole. Barfuß, nur eine Sommerschürze hat sie an. So schaut sie eigentlich nicht besonders furchterregend aus, umso skurriler ist es, dass sie immer wieder, scheinbar ohne Ziel, in die Luft schießt. Zwischendurch gönnt sie sich eine Pause und isst noch die letzten Johannisbeeren von den Sträuchern, die rund um sie stehen. Die Anni schießt gern, weil es »so schön schnalzt«, sagt sie. Und sie hat auch wirklich einen Feind: die Eichelhäher, die ihr jedes Jahr drei oder vier Apfelbäume komplett abräumen. »Erwischen wenn ich sie würde«, sagt die Anni wütend, »dann würde ich sie erschlagen.« Dieses Jahr haben die Räuber ihr auch noch den ganzen Birnbaum abgeleert und haben ihr keine einzige Birne zum Essen übrig gelassen. »Das sind richtige Biester«, schimpft die Anni und schießt noch ein paarmal in die Luft. »Da kannst du schießen, was du willst, nach fünf Minuten sind sie wieder da«, steckt sie ihre Pistole wieder in ihre Schürzentasche und tröstet ihren kleinen Kummer mit ein paar süßen Johannisbeeren.
Einen Eimer voller Johannisbeeren nimmt sie später mit in das obere Stockwerk, wo die ehemaligen Schlafzimmer ihrer Söhne liegen. Zwei Zimmer für vier Kinder. Mit altmodischen Schrankwänden, Pokalen von Schulmeisterschaften, Aufklebern von Popgruppen. Jetzt hat die Anni dort zwei ihrer Gefriertruhen geparkt, wo sie die letzten Johannisbeeren, in Gefriertüten abge packt, verstaut. In den unbewohnten Zimmern erinnert sie sich an vergangene Zeiten:
Meine Söhne, die haben pariert. Wenn sie nicht auf mich gehört haben, bin ich zum Küchenbüfett gegangen. Dann waren sie gleich weg, weil sie gewusst haben, dass der Kochlöffel rauskommt. Alle vier sind nach Innernzell in die Schule gegangen. Vom Charakter waren sie verschieden, aber ruhig waren sie alle. Und ein wenig verschreckt, weil sie in der Einöde aufgewachsen sind und keinen Kindergarten hat es damals nicht gegeben.
Die Mutter vom Alois ist 1977 gestorben, da war unser jüngster Sohn sieben. Ich musste sie sechs Jahre lang pflegen. Die hatte alle Jahre einen Schlaganfall, sechs insgesamt. Am Ende konnte sie kaum mehr laufen und ich habe sie über die Schulter legen müssen, um sie aus ihrem Zimmer in die Stube zu bringen. Wie das gegangen ist mit Landwirtschaft, Kindern und einem schweren Pflegefall, das weiß ich heute nicht mehr. Geschlafen habe ich oft nichts, mein Bett habe ich nur gesehen, nicht darinnen gelegen. Wenn es der Schwiegermutter schlecht ging, habe ich sowieso auf dem Boden neben ihr geschlafen. Einen Sonntag hat es nicht
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