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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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gegeben, das war eine schwere Zeit. Der Schwiegermutter ging es immer schlechter. Zum Schluss hat sie geschrien, wenn die Kinder das Küchenbüffet aufgemacht haben: »Da sind Diebe im Haus.« Sie hat mich und die Kinder nicht mehr erkannt. Nach dem sechsten Schlaganfall hat sie noch 14 Tage gelebt und dann war es vorbei. Am 5. Januar 1977 ist sie gestorben, um 4 Uhr früh.
    Unsere Söhne haben was Gescheites gelernt, alle vier arbeiten heute in der Autoindustrie. Einer als Lackierer, der andere in der Endmontage, der dritte in einem Autohaus und der vierte in einer Autozubehörfirma. Die Buben wohnen alle in Niederbayern, außer einem, den hat es bis nach Memmingen verschlagen. Der letzte Bub ist vor 18 Jahren weg, die haben Weiber kennengelernt, haben eine Wohnung genommen und waren fort.
    »Anni«, hört man den Alois von unten schreien. »Anni«, noch mal, » Verbotene Liebe beginnt!« Schnell schließt Anni den Deckel ihrer Gefriertruhe und macht sich mit dem leeren Eimer auf den Weg nach unten. Dort läuft der Fernseher schon, die Titelmelodie von Verbotene Liebe ist fast zu Ende. Der Alois sitzt lässig in seiner Ecke, die blaue Kappe auf dem Kopf, eine Zigarette zwischen den Fingern. Die Anni lässt schnell den Eimer neben den Ofen fallen und plumpst unsanft neben dem Alois auf das Sofa. Es ist sechs Uhr abends, ein fester Termin, quasi ein jour fixe in Hilgenreith.
    Seit 1997 läuft Verbotene Liebe in der ARD mit jeweils fünf Folgen wöchentlich und die Sigls haben alle Folgen gesehen, außer zwei oder drei. Über viertausend Mal also haben sie die Seifenopfer angeschaut und inzwischen ruft um sechs Uhr abends keiner, der sie kennt, mehr bei ihnen an. »Wenn du es nicht alle Tage anschaust, dann kommst du draus«, weiß die Anni. »Mir gefällt einfach die Sendung. Und gerade die Lästigen, die gefallen mir, wenn sie Krieg unter die Leute bringen.« Dabei schlägt sie sich mit der selbst gebauten Fliegenpatsche aus einem einfachen Stock und einem daran befestigten harten Lederstück fest auf das Schienbein. »Gibst du jetzt eine Ruhe?«, spricht sie die Abschiedsworte für die getroffene Fliege.
    Und dann ziehen die noblen Kreise derer von Anstetten, Beyenbach und von Lahnstein in das bescheidene Wohnzimmer von Anni und Alois ein. Intrigen in den Adelsfamilien, komplizierte Partnersuche, große Beziehungskrisen – alles zu Gast in Hilgenreith. Und das in einer Höllenlautstärke, weil die Anni schlecht hört. »Das ist eine ganz andere Welt«, meint die Anni nachdenklich, »das gefällt mir.« Der Alois dagegen hat andere Vorlieben und traut sich zu sagen: »Das schaue ich mir schon an, aber Fußball wär’ mir praktisch lieber, wenn Bayern spielt.« Aber da kennt die Anni kein Erbarmen und missbilligend sagt sie: »Freilich, wenn 22 Narrische einem Ball nachrennen, so ein Schmarrn.«
    Das Drama auf dem Bildschirm spitzt sich zu: Tränenreich wird gestritten und sich versöhnt. Bei Anni und Alois tritt gespanntes Schweigen ein, bis die Anni sagt: »Die Welt, in der die leben, die wäre nichts für mich. Alles so aufgetakelt und so aufgebauscht.« Letzte Wortgefechte, letzte Irrungen und Wirrungen, Abspann, Musik, der Adel verabschiedet sich für heute aus dem Einödhof. Und der Alois, der inzwischen zu Ende überlegt hat, bestätigt der Anni: »Bei uns ist es besser, weil wir es so gewöhnt sind, weil wir es einfach nicht anders kennen.«

Eierbesuch
    M ehrmals in der Woche bekommen Anni und Alois Besuch. Die »Eierbesucher« kennen die beiden alten Leute meist schon jahrelang, sie holen jede Woche eine immer gleiche Menge Eier ab – für sich, ihre Verwandten und Bekannten.
    Die Eierbesucher sind gern gesehen bei den Sigls. Manche auch besonders gern, wie die Gisela, die den Obst- und Gartenbauverein Innernzell leitet. Für die Gisela hat die Anni fast immer ein Geschenk parat, deckt den Kaffeetisch und freut sich auf einen gescheiten Ratsch. Die Gisela wiederum lässt nichts auf Anni und Alois kommen, hat meistens auch etwas für das alte Ehepaar in ihrem Körbchen und schätzt die Anni besonders, weil sie sich so gut in Gartenthemen auskennt.
    Auf einem einsamen Hof muss man also nicht menschenscheu werden. Die Anni ist nach fünfzig Jahren Hilgenreith genau das Gegenteil davon: offen, lustig, redselig und gastfreundlich.
    Die Eier, die braunen und die grünen, bringen Anni und Alois immer wieder die Welt nach Hause. Und dann redet das Ehepaar gern viel, über das Dorf, die Menschen, die Tiere, die

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