Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
gelernt. Immer, wenn die Anni irgendetwas besonders lang und gut kann, dann will sie mit acht Jahren damit begonnen haben. Erstaunlich. Aber schon die biblische Zahlensymbolik schreibt der Acht eine besondere Bedeutung zu: Die Zahl steht für den Neuanfang. So wurden acht Menschen mit der Arche Noah gerettet, acht Tage nach der Geburt wurde beschnitten und die Woche fängt mit dem achten Tag wieder neu an. Mit solchen Spekulationen kann die Anni wenig anfangen, trotzdem liebt auch sie diese Zahl.
Inzwischen hat sie den Stubentisch sauber abgewischt und sich mit dem gerupften Tier hingesetzt. Mit einem großen Schnitt trennt sie die Bauchdecke auf und beginnt die Innereien auszunehmen. »Vorsicht, jetzt stinkt es gleich«, warnt sie vor. Ein kurzes, angewidertes »Aaaah« kommt aus der Ecke vom Alois. »Das könnte ich nicht machen«, sagt er angeekelt. »Aber wenn man in München im Schlachthof gearbeitet hat, braucht man sich nicht wundern«, fügt er noch anerkennend hinzu. Ein Jahr hat die Anni 1954 in einer Münchner Gastwirtschaft in der Gautinger Straße gearbeitet, eine harte Zeit, von der sie erzählt, als ob es gestern gewesen wäre:
Als 18-Jährige habe ich mich in einer Gastwirtschaft verdingt, die auch eine Pension und eine Metzgerei dabeihatte. Das war eine schwere Zeit. Unser Chef, der war ein richtiger Satan. Seine Frau hat er dauernd betrogen, sie hat recht geeifert und beide zusammen haben ihre Wut an uns ausgelassen. Ein Jahr habe ich dort gearbeitet, ich habe es am längsten geschafft von allen dort. Wenn der Chef nämlich Gesellen eingestellt hat, dann waren die nach acht Tagen wieder weg, weil es keiner ausgehalten hat. Nur der Lehrbub und ich, wir haben dableiben müssen. Der Bub hat viel geweint, weil der Chef ihn immer geschlagen hat. Nichts hat er ihm recht machen können, obwohl er erst im ersten Lehrjahr war. Der Meister hat überhaupt keine Geduld gehabt und dann hat er mich meistens geholt, damit ich mit ihm Stier’, Kälber und Schweine schlachte in der Metzgerei.
Mich hat er nie gehauen, der Mistkerl. Der hatte Angst, dass ich auch noch weglaufe. Seine Frau hat er manchmal grün und blau geschlagen, aber bei mir hat er sich das nicht getraut. Ich habe ihm gleich ins Gesicht geschrien: »Das kannst du mit deiner Frau tun und sie zum Narren halten, aber mir brauchst du damit nicht zu kommen.« Ab da hat er mich immer in Ruhe gelassen.
Am schlimmsten war in der Metzgerei der Aschermittwoch oder der Karfreitag. Da ist der Chef mit dem Käscher runter zur Würm und hat hundert bis 150 Fische geholt, die hat er dort in einem großen Bottich gezüchtet. Die hat er alle vor mir ausgeschüttet, ist gegangen und ich musste sie alle alleine erschlagen und ausnehmen. Das war eine richtige Sauerei.
Abb. e: Die junge Anni, städtisch-fesch
»Da wirst du hübsch lange gebraucht haben«, sagt der Alois fast mitleidig. Und dabei wirkt er, als ob er die Geschichte noch nie gehört hätte. Obwohl – wenn man ehrlich ist – die Anni gern immer wieder die gleichen, eben ihre Lieblingsgeschichten erzählt. Meist sind es Geschichten, in denen es deftig und hart zugeht und sie sich als Heldin in einer unwirtlichen Welt behauptet.
»Nein, ich bin bald fertig gewesen, die haben wir ja mittags schon gebraucht für das Wirtshaus«, antwortet die Anni auf Alois’ Frage. Nebenbei säubert sie den Magen der Hennen, den sie am Ende wieder mit Leber und Herz reinlegt in die Henne – weil viele Leute gerade diese Innereien als besondere Delikatesse schätzen. Das kann der Alois überhaupt nicht verstehen, da kann er nur ungläubig den Kopf schütteln, so etwas würde er nicht um viel Geld essen. Er mag ja noch nicht einmal Fleisch besonders.
Ihre Prachtexemplare – manche Gänse wiegen bei der Anni bis zu acht Kilo – verschickt die Anni teilweise bis nach Dortmund und Hannover. Man stelle sich vor, ein tiefgefrorener Riesenbrummer tritt seine Reise von dem einsamen Hof im Bayerischen Wald an. Eingepackt in Styropor, bringt die Anni ihn in Innernzell zum Postschalter. Und dann »fliegt« ihre Gans durch Deutschland, ohne Kopf und eiskalt. Sozusagen eine bofrost-Lieferung en miniature . So eine Gans, wie die Anni sie züchtet, ohne Hormone und Tabletten – hundertprozentig bio, auf die ist jeder scharf, der gern kocht.
Die Anni ist fertig für heute. Draußen im Wassergrant wäscht sie ihr blutiges Tapetenmesser wieder sauber. Die Federn und die unbrauchbaren Innereien wirft sie in die Abfalltonnen, die
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