Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Wissen, das kann man sich nicht vorstellen, die kann sich mit allem helfen.
Eine halbe Stunde später. Die Krapfen sind aufgegessen, zwei Tassen Kaffee für jeden reichen. Sonst kann man nicht mehr schlafen heute Nacht. Gisela will langsam aufbrechen, aber hat sich noch mal festgeratscht. Sie will noch etwas loswerden:
Gisela (zu uns): Solche Leute wie die Anni und den Alois, die gibt es doch heute nicht mehr. Wenn man reingeht in die Stube, dann fühlt man sich wohl. Die Möbel, der Fußboden, da denkt man zurück, so haben wir es früher auch daheim gehabt. Und dann die Gemütlichkeit und Ruhe: Der Alois, der raucht wieder eine, und alle beide erzählen mir ihren Tagesablauf. Sie sind beide so zufrieden mit dem, was sie haben, und das ist nicht viel. Ich sag’ oft: »Anni, wie kommst du mit dem wenigen Geld gerade so rum?« Aber da hörst du kein Jammern. Das ist das, was mir so zu Herzen geht, dass sie beide so zufrieden sind. Und egal, wer sie besucht, geht zufrieden aus dem Haus raus, weil die beiden so fröhlich sind.
Die Kaffeetafel löst sich auf. Gisela hat es nun eilig, zu Hause wartet ihre pflegebedürftige Schwiegermutter.
Gisela (über ihre Schwiegermutter): Die ist jetzt 96 Jahre alt und unterhält sich nur noch mit ihrem Jugendfreund, nur mit dem. Wenn ich ihr zu essen gebe, dann legt sie ihm eine Scheibe Brot rüber, sie gibt ihm auch den Löffel. Da unterhält sie sich von morgens bis abends mit ihrem Hans und redet mit sich selbst. Der Hans, ihre erste Liebe, der ist aber gefallen im Zweiten Weltkrieg. Aber sie redet nur mit ihm und dann lacht sie. Die kann lachen. Sie lacht bis in die Nacht rein.
Alois (verständnisvoll): Es ist einfach so, manche haben diese, manche haben eine andere Krankheit. Da kann man nichts machen.
Gisela (zustimmend): Ja, das stimmt, Alois. So, jetzt muss ich wirklich gehen. Pfüa Gott, bis bald. Einen schönen Tag noch.
Anni geleitet die Gisela noch bis zur Tür. Sie winkt ihr zum Abschied: Man wird sich wiedersehen, so Gott will. Bis dahin werden die Sigls weiter ihr ruhiges Leben auf ihrem Einödhof führen. Frei nach dem Motto: Allein sein zu müssen , ist das Schwerste, allein sein zu können, das Schönste , was es gibt.
Vorräte
K alt und ungemütlich – so telefoniert die Anni mit ihrem altmodischem Schnurtelefon in die weite Welt. Ohne Ehrfurcht hat sie es auf die Waschmaschine in ihrem Hausgang gestellt, der im Winter nie geheizt wird. Dort steht sie lässig mit dem Ellenbogen auf den weißen Klotz gelehnt. Und das oft lange, denn die Anni ratscht und lacht ja gern.
Von der Anni wird man, wenn sie einen mag, regelmäßig angerufen. Seit wir uns bei den Dreharbeiten kennengelernt haben, möchte die »Siglin« immer wieder wissen, wie es meiner Mutter geht oder wie ich mit der Arbeit vorankomme. Sie selbst erzählt Neuigkeiten von ihrer Geflügelzucht, den täglichen Arbeiten im Gar ten oder von den vielen neugierigen Besuchern. Vom Alois dagegen berichtet sie nur auf Nachfrage. Der Alois geht auch nie hin, wenn das Telefon klingelt. Er bleibt auf dem Sofa sitzen, schreit kurz für die Anni: »Telefon!«, und sagt entschuldigend: »Ja mei, die wollen doch eh nur die Frau sprechen.« Und was kann er schon über alte Apfelsorten, Geflügelprobleme oder spezielle Gartentipps reden. Das Telefon, das ist der Frau ihre Sache – da tut der Alois keinen Schritt.
»Magst du einen Holundersaft?«, hat mich die Anni schon am Telefon gefragt. »Und brauchst du Eier? Und Marmelade habe ich auch wieder gemacht, die mit den acht Früchten. Hast du die schon mal probiert?« Das fragt sie allerdings immer wieder, obwohl sie eigentlich weiß, dass ich kein Marmeladenliebhaber bin. »Die Ente, die du bestellt hast, der ist es schon an den Kragen gegangen. Die kannst du mitnehmen, die liegt in der Gefriertruhe und hält Winterschlaf – aber für immer«, teilt sie mir am Ende des Telefonats noch mit.
Im Spätherbst ist bei der Anni Ernte-, Schlacht- und Einmachzeit. Und jetzt, Anfang November, hat die Anni ihren Keller, ihre Speisekammern und ihre drei großen Gefriertruhen endlich voll. Ihr ganzer Stolz ist heuer die neue Gefriertruhe mit 360 Litern Fassungsvermögen. Für 800 Euro hat sie sie vom Elektriker gekauft, ein wahres Monstrum, das sich von selbst beschwert, wenn der Deckel zu lange offen steht. »Piep, piep, piep«, motzt der neue High-Tech-Mitbewohner, während Anni mir seelenruhig ihre tiefgefrorenen Schätze zeigt.
»Gefriertruhen sind für mich das
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