Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Gottesdienstbesuche mit dem Traktor, den sie »Bulldog« nennen.
Mit Schnee überzuckert liegen die Gipfel des Bayerischen Waldes heute da, davor breitet sich das Dorf Innernzell aus, ebenfalls in mildes Weiß gehüllt. Gnädig wärmt die Wintersonne die beladenen Hausdächer. »Tuck-tuck-tuck-tuck«, arbeitet der Traktormotor brav jeden Meter ab. Die Anni sitzt gelassen in der rundum transparenten Führerkabine, wie in einem »Papamobil«, und winkt den Menschen auf der Straße freundlich zu. Sie kennt ja jeden im Dorf und jeder kennt sie. Nach zwei Kilometern Fahrt biegt die Anni auf den Parkplatz des einzigen Supermarktes im Dorf ein. Rasch holt sie einen Einkaufswagen, die Türe öffnet sich und der Ausflug in das Einkaufsparadies beginnt.
Alle vier bis fünf Wochen geht die Anni einkaufen und dabei gibt sie jedes Mal zwischen 15 und 20 Euro aus. Essig, Salz, Nudeln, Kaffee, Zucker oder Brot stehen dann auf Annis Einkaufszettel, den sie vor Ort in einem erstaunlichen Tempo abarbeitet. »Mich reizt das nicht, was in den Geschäften rumsteht«, erzählt sie auf ihr Einkaufswägelchen gelehnt, »die vielen Sachen, die sind für mich Luft, da kann es noch so viel Auswahl geben.«
Für den Supermarkt in Innernzell also ist die Anni keine ideale Kundin. Eigentlich könnte man hier auf den wohlsortierten 500 Quadratmetern alles einkaufen, vom Apfelmus, Risottoreis bis zur Zahnseide. Doch entweder macht die Anni alles selbst zu Hause oder sie braucht es einfach nicht. Die Welt des Konsums, der riesigen Auswahl, des Überflusses – diese Welt betritt die Anni nur ungern und verlässt sie möglichst schnell wieder. Die Farben, die Formen, die Gerüche, die Werbe sprüche, die Supermarktmusik – eigentlich sollten sie ein Rausch für die Sinne für jemanden sein, der schon so lange auf einem Einödhof lebt. Aber die Anni klammert sich lieber eisern an ihren Einkaufszettel und schimpft vor sich hin: »Wo haben sie denn jetzt die Gefriertüten versteckt? Und wo haben sie das andere Zeug wieder hin?«
Schnell fährt sie von Regal zu Regal und nimmt genau das mit nach Hause, was sie aufgeschrieben hat. Den Inhalt ihres halb leeren Einkaufswagens erklärt sie so: »Ich brauche Gefriertüten, weil wenn ich Gänse schlachte, muss ich sie alle einfrieren, bis sie abgeholt werden. Einen Puderzucker brauch’ ich auch, zum Backen für die Plätzchen, und auch Suppennudeln. Und dann habe ich mir noch eine schwarze Strumpfhose gekauft, wenn eine Beerdigung ist.« Fast im gleichen Atemzug ruft sie der Verkäuferin, die gerade vorübergeht, laut nach: »Habt ihr noch Vogelfutter draußen?«
Innerhalb von zehn Minuten ist die Anni mit ihrem kurzen Rundgang fertig und am Gebäckstand gelandet. Dort holt sie ihre uralte Plastiktüte heraus, deren Schrift noch kaum zu lesen ist. »Jetzt gibst du mir noch drei Wecken Brot«, sagt sie energisch zu der Backwarenverkäuferin. »Hast du Taschen dabei?«, fragt die zurück, ohne irritiert zu sein. »Ja, aber meine Papiere muss ich ausräumen«, erwidert die Anni und kramt aus den Untiefen ihrer riesigen Plastiktüte eine winzige durchsichtige Brotzeittüte hervor, in der sie ihren Traktorführerschein eingewickelt hat. »Sonst, wenn mich die Polizei erwischt, liegt der Führerschein ganz unten und ich muss die ganzen Brote erst ausräumen.« Die kurzhaarige Verkäuferin nimmt die alte Tüte entgegen und legt die großen Laiber Brot hinein. »Die muss ich daheim einfrieren«, erklärt ihr währenddessen die Anni und lacht: »Ich brauch’ immer einen Vorrat.« Die energische Verkäuferin fällt Anni fast schon wieder ins Wort: »Eine Reserve braucht man, wenn es jetzt zuschneit.« Aber diesen Satz sagt sie nicht ungebüßt, denn sofort richtet sich die Anni auf und widerspricht mit Inbrunst: »Mich schneit es nicht ein. Da kann Schnee kommen, was will, ich komme aus.« Beein druckt lacht die Verkäuferin kurz, sie kennt die Sprüche von der Anni.
Sowieso ist die Anni eine kleine Berühmtheit im Dorf – auch weil sie schon oft im Fernsehen zu sehen war. »Fernsehstar« nennen die Einheimischen die Anni ab und zu, wenn sie unterwegs ist. Die meisten sind amüsiert oder voller Anerkennung und die, die neidisch sind, sagen gar nichts. Der Anni selbst ist das egal. Ob Anerkennung oder nicht, ob Auf merksamkeit oder nicht – ihr Leben ist auch ohne Filme über sie, ohne Zuschauerpost glücklich und zufrieden. Wahrscheinlich stimmt das Sprichwort »Bescheidenheit ist eine Zier« bei ihr
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