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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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und schon kraxelt die Anni die alte Eckbank hinauf und versucht, den Kranz am Haken in der Decke aufzuhängen.
    Währenddessen ist der Alois von seinem vertrauten Platz aufgestanden und kehrt mit einem Besen die Reste der Tannenzweige zusammen, ohne dass ihm das die Anni angeschafft hätte. Die hat keine Zeit, um sich um den Alois zu kümmern, ihr Kranz hängt jetzt und sie schmückt ihn mit silbernen Lamettafäden – fein säuberlich Stück für Stück.
    »Lass’ sie nicht zu weit runterhängen, die Fäden«, mosert der Alois in ihre Ecke hoch und wirft die Tannenreste in den Ofen.
    »Ich lass’ sie so runterhängen, mir gefällt das so«, wehrt sich die Anni.
    »Dann hole ich die Schere und stutze sie«, droht ihr der Alois an – aber schon mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Das hat die schwerhörige Anni nicht mitgekriegt, schwer atmend steigt sie von der Eckbank und setzt sich auf ihren Platz auf dem Stubensofa.
    Inzwischen ist es draußen dunkel geworden und es hat angefangen, leicht zu schneien.
    Anni schaut auf den Adventskranz, dann nach draußen, wo der Schnee in immer dickeren Flocken vom Himmel fällt. »Einen Haufen Schnee kriegen wir wie der«, stellt sie seelenruhig fest. »Wenn es über die Nacht so weitergeht, dann haben wir morgen zwanzig Zentimeter Neuschnee vor der Haustür«, sagt sie zum Alois.
    »Ich habe mir die Schaufel schon hergerichtet«, erwidert dieser kampfbereit.
    »Nein, uns schneit es nicht ein«, bestärkt ihn die Anni. Da sind sich die beiden ganz einig, so viele kleine Auseinandersetzungen und spitze Wortgefechte sie pro Tag sonst führen.
    »Wir kommen immer wieder aus, da hat es schon mehr Schnee gehabt, da sind wir ausgekommen«, blickt der Alois auf die letzten Jahrzehnte zurück. Die Armut, die Kinder, die schwerkranken Eltern und die eigenen Krankheiten – alles haben die beiden zusammen bewältigt. Was soll sie da der Schnee, ihr Hauptgegner im Winter, noch schrecken?
    »Dann müssen wir morgen halt schaufeln«, meint der Alois seelenruhig. Der Schnee, das Schaufeln, wieder Schnee und schaufeln – der Winter in Hilgenreith hat heute Abend begonnen.

Weihnachten
    W ie eine Wand steht der Nebel heute vor dem Einödhof, alles ist Grau in Grau. Nur die hungrigen Habichte sieht man, die wie erstarrt auf ihren Holzpfosten sitzen. Der Bayerische Wald, der sich sonst jeden Tag vor der Haustüre des alten Ehepaares zeigt, versinkt in dichten Schwaden. Ein kalter öder Herbsttag könnte seinen Lauf nehmen – wenn nicht morgen Weihnachten wäre.
    Am Küchentisch steht die Anni, bekleidet mit einer ärmellosen Schürze, und rollt zum letzten Mal für heuer einen Plätzchenteig aus. Das Nudelholz flitzt hin und her, denn Kraft hat die Anni genug. Fein und dünn muss der Teig werden, damit sie nachher möglichst viele Plätzchen ausstechen kann. Das Backbrett, auf dem sie arbeitet, hat ihr der Alois vor zwanzig Jahren geschreinert – aus Holz vom eigenen Waldstück. Aber für wen bäckt sie die Plätzchen? »Die mach’ ich, damit noch mehr Sachen da sind. Die werden schon alle bis zum März gegessen«, sagt die Anni kurz angebunden. Aber später stellt sich doch heraus, für wen die Plätzchen sind. Für den Alois nämlich, denn der ist ein »Siaßer«. Was im Bayerischen so viel heißt, dass er Süßigkeiten, Kuchen und Plätzchen gern mag. Meist ein Laster, dem die Männer frönen. Selbst essen? Nein, das kann die Anni mit ihren drei Zähnen kaum mehr und ein Gebiss verträgt sie nicht.
    Ein Pfund Mehl, 200 Gramm Zucker, 100 Gramm weiche Butter, drei Eier – nur von den eigenen Hühnern – und Margarine, das sind die Butterplätzchen von der Anni. Das Rezept hat sie sich vor rund sechzig Jahren notiert, in der Haushaltsschule in Neuhaus am Inn. In fein säuberlicher Schrift hat die damals 15-Jährige mitgeschrieben, was die Klosterschwestern ihr beibrachten. »Die haben hübsch schnell diktiert«, lacht die Anni, während sie in ihrem Rezeptbuch blättert.
    Eine leichte Zeit war es damals nicht, aber das war die Anni gewöhnt. Und Weihnachten? Kindheitserinnerungen? Da wird sie nie sentimental: »Wie ich klein war, hat es nur Butterplätzchen gegeben und davon nur ein paar«, sagt sie und sticht dabei Formen aus dem Teig aus. »Ich bin im Krieg aufgewachsen und da gab es kein Mehl und auch keinen Zucker. Einmal sollte ich Zucker heimtragen, da hat die Verkäuferin zu mir gesagt: ›Komm’ in sechs Wochen wieder.‹ Dann haben wir zum Plätzchenbacken halt Honig

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