Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
Vom Netzwerk:
tatsächlich – wenn Bescheidenheit ein In-sich-Ruhen, ein Genügsam-sein, eine einfache Akzeptanz, dessen, was ist, bedeutet. »Bescheidenheit muss man als Kind schon lernen«, das weiß die Anni, »als Erwachsener lernst du es nicht mehr.« Und dazu hatte sie in ihrer armen Kindheit Zeit und Anlässe genug.
    In der warm geheizten Stube sitzt die Anni später mit nackten Oberarmen auf einem Holzschemel, den der Alois für sie gemacht hat. Normalerweise ist das ihr Enten- und Gänserupf-Schemel, aber heute bindet die Anni einen Adventskranz aus Tannenzweigen. Den Bogen, um den sie die Zweige fein säuberlich und akkurat windet, hat sie selbst aus Weidenästen gefertigt. Das Binden des Adventskranzes ist wie so vieles im Haus ihre Domäne, etwas, das sie schon immer allein gemacht hat, wo der Alois nicht hinlangen darf, weil das nur Zeit kostet und das Ergebnis eher schlechter wird. Konzentriert, mit roten Backen und mit ihrer dicken Brille sitzt die Anni da und windet die klein geschnittenen Zweige um ihren Bogen und zieht alles mit einem Bindfaden fest.
    »Wie ich noch ein Kind war, haben wir die Kerzen für den Adventskranz selbst gemacht«, kommt die Anni ins Erzählen. »Das Wachs haben wir sowieso von den Bienen gehabt, dann haben wir einen Zwirn genommen und mehrere Fäden mit der Strickliesl gehäkelt, so haben wir den Docht selbst gemacht. Derweilen war auf dem Herd schon das Wachs geschmolzen. Wir Kinder haben dann das flüssige Bienenwachs auf ein Papier gegossen, den Docht daraufgelegt und das Ganze zusammengerollt. Fertig waren unsere Kerzen, die nichts gekostet haben.«
    In einer kleinen Redepause fragt der Alois, der sich jetzt auf dem Sofa aufgerichtet hat, interessiert: »Hat das nicht lange gedauert?« Die Anni antwortet resolut: »Das ist wurst gewesen, wir haben doch damals Zeit gehabt als Kinder, da hat es noch keinen Fernseher gegeben. Auch den Adventskranz haben wir selbst gebunden, weil unsere Mutter da keine Lust und Zeit dafür gehabt hat. So sind wir zur Nachbarin gelaufen, die hat immer einen Adventskranz gebunden, und die hat uns gezeigt, wie es geht. Dann sind wir jedes Jahr in den Wald gelaufen und haben uns Zweige geholt, egal wie krumm die waren. Wir haben es einfach selbst probiert und hingehauen hat es«, erzählt die Anni stolz und drückt dabei dem Alois ihren halb fertigen Kranz in die Hände. »Da – darfst du wieder halten«, schafft sie ihm an. Willig und sanftmütig erfüllt der Alois seine kleine Aufgabe und während die Anni kleine Zweige von den großen Tannenästen runterschneidet, begutachtet er interessiert den bis jetzt geflochtenen Kranz:
    »Der kommt mir heuer größer vor als letztes Jahr«, bemerkt er kindlich erstaunt.
    Worauf die Anni gleich unwillig kontert: »Nein, der ist nicht größer als sonst.«
    Doch der Alois gibt nicht gleich auf und fragt noch mal nach: »Ist das der gleiche Bogen wie voriges Jahr?«
    Da verliert die Anni die Geduld und bemerkt schon leicht genervt: »Freilich, das ist der gleiche Bogen. Ach, red’ nicht so viel«, murmelt sie noch in sich hinein, sodass es der Alois nicht hört. Weil vom Adventskranzbinden hat er überhaupt keine Ahnung.
    Da sitzen die beiden, die heuer Goldene Hochzeit gefeiert haben, nun über fünfzig Jahre immer in der gleichen Stube, jahrein, jahraus – im Frühjahr, Sommer, Herbst und jetzt auch kurz vor dem Advent. Und immer noch in den gleichen Möbeln, die sie sich zur Hochzeit gekauft haben. Das grüne Muster auf der Mauer ist sogar über hundert Jahre alt, damit ist der Alois in diesem Haus aufgewachsen. Seit 78 Jahren lebt er jetzt hier und hat es nie weiter als bis nach München geschafft. Urlaub hat er nie gemacht, Bayern sein ganzes Leben lang nie verlassen. Trotzdem hat er kein Fernweh, warum auch? Etwas mehr von der Welt hat die Anni gesehen. Sie war als ledige Frau in Südtirol, Österreich und hat die ganzen Seen in Bayern bereist. »Jetzt kann ich das Reisen gar nicht mehr vertragen«, erzählt sie nicht besonders traurig. »Wenn ich schon in den Bus einsteige und die Sitze rieche, dann ist es aus mit mir. Ich muss schon Reisetabletten nehmen, wenn ich nur die zwanzig Kilometer bis nach Grafenau fahren muss«, seufzt sie laut. Zum letzten Mal zieht sie den Adventskranz fest und schneidet den Bindfaden ab.
    »So, der ist fertig für heuer«, hält sie ihr Meisterwerk hoch und begutachtet es noch ein letztes Mal. Nun noch schnell eine rote Schleife um den Kranz winden, die Kerzen aufstecken –

Weitere Kostenlose Bücher