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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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nächste Woche von zwölf bis Ladenschluss, sonst hätten sie schon herkommen können.«
    Es war nicht mehr ganz so kalt im Zimmer. Ihre Schultern hörten auf zu beben. Sonst hätten sie schon herkommen können. Sonst. Hätten sie schon.
    »Weihnachtsgeschäft?«, fragte Annika.
    »Und die Zulage, die ich verdiene, geht für Weihnachtsgeschenke drauf, alles ist ein einziges Karussell …«
    Annika lachte leise, dass es so einfach war.
    »Eigentlich könnten sie ja bei Steven bleiben, aber der kann nicht besonders gut mit Kindern.«
    Annika blickte auf die Sofakissen und hatte wieder Birgittas kleine und ratlose Stimme im Ohr, als Steven am Samstagabend nicht vom Sofa aufstehen wollte. Zerr nicht so an ihm, da kann er böse werden. Sag so was nicht zu Steven, das mag er nicht.
    Nein, es war wohl besser, wenn sie die Kinder woanders unterbrachte.
    »Schon okay«, sagte Annika. »Ich finde eine andere Lösung. Danke trotzdem …«
    »Was macht ihr Weihnachten? Kommt ihr nach Hällefors­näs?« Birgitta klang froh und erleichtert.
    »Kommt drauf an«, erwiderte Annika. »Mal sehen, ob Thomas …«
    »Du musst doch endlich Destiny kennenlernen. Sie ist so ein süßer Schatz.«
    Sie beendeten das Telefonat, und Annika ließ das Handy in den Schoß sinken. Sie konnte nicht schon wieder Berit fragen, das ging zu weit. Sie und Thord arbeiteten beide Vollzeit und pendelten nach Stockholm.
    Halenius steckte den Kopf wieder ins Wohnzimmer.
    »Darf man?«, sagte er.
    Sie antwortete nicht.
    »Kannst du die Kamera ausschalten?«, fragte er und setzte sich neben sie aufs Sofa.
    »Warum? Ich soll doch dokumentieren, was hinter den Kulissen passiert.«
    »Bitte«, sagte er.
    Sie stand auf und drückte den Pausenknopf.
    »Ich glaube, die Entführer melden sich heute Abend«, sagte Halenius. »Sie wollen das jetzt hinter sich bringen. Wie läuft’s bei dir?«
    Sie schluckte.
    »Noch niemanden gefunden«, sagte sie.
    »Das hier ist wichtig«, sagte Halenius und beugte sich zu ihr hinüber. »Im Zweifelsfall musst du bis an die Schmerzgrenze ge­hen. Gibt es Lehrer in der Schule, einen Nachbarn, Mitarbeiter im Hort?«
    Sie wand sich.
    »Es gibt also Universitäten in Somalia«, sagte sie.
    Er schwieg einen Moment.
    »Es handelt sich offenbar um eine kleine Privatuniversität, die Krankenpflegepersonal und Lehrer ausbildet. Wie gut das funktioniert, kann ich nicht sagen.«
    »Nimmt man an, dass Thomas dort ist? In Kismayo?«
    Halenius lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    »Das ist überhaupt nicht gesagt. Von Liboi nach Kismayo sind es zweihundert, vielleicht zweihundertfünfzig Kilometer. Der Spanier meint, dass er mindestens acht Stunden in dem Auto gelegen hat, sie haben ihn also über eine ziemliche Strecke transportiert. Wir reden ja nicht gerade von Autobahnen …«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Der Spanier? Auf der Militärbasis der Amis im Süden Kenias. Sie haben ihn mit einem Black Hawk abgeholt.«
    Sie fragte nicht, wer den Amerikanern erlaubt hatte, mit einem Kriegshubschrauber in den somalischen Luftraum einzudringen, um einen ausländischen Bürger auszufliegen. Gar keiner, vermutlich.
    Annika räusperte sich.
    »Ich muss noch einen Anruf machen«, sagte sie.
    Halenius erhob sich vom Sofa und ging zurück ins Schlafzimmer.
    Sie atmete ein paar Mal tief durch, sie wusste die Nummer auswendig, und als sie die Ziffern eintippte, brannten ihre Finger.
    Drei Rufsignale, vier, fünf.
    Dann wurde abgenommen.
    »Hallo, hier ist Annika. Annika Bengtzon.«
    *
    Als ich ein kleiner Junge war, habe ich hinter dem Söderby-Hof Drachen steigen lassen, auf der Wiese, wo im Herbst die Kühe grasten. Mein Drachen hatte die Umrisse eines Adlers. Er war auf die dünne Plastikfolie gemalt, die Flügel und der Kopf und der Schnabel in Gelbbraun. Die Vögel, die auf der Wiese brüteten, wurden durch den Drachen ganz nervös, sie hüpften aus ­ihren Nestern, flatterten aufgeregt und machten Spektakel, um ihren Nachwuchs vor dem vermeintlichen Adler zu schützen.
    Es war ein phantastischer Drachen. Er flog hoch, hoch oben zwischen den Wolken, war manchmal nur noch ein kleiner Punkt am blauen Himmel, und ich war geschickt, ich konnte ihn herabstürzen und im letzten Moment wieder aufsteigen lassen. Er hatte Schwung und Kraft wie ein großes, kräftiges Tier, folgte aber stets dem kleinsten Wink von mir.
    Holger bettelte andauernd darum, meinen Drachen leihen zu dürfen, aber ich hatte ihn mir zum Geburtstag gewünscht und hütete ihn wie

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