Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
ich in deinen Augen, eine Hündin, oder? Und deine eigenen Enkelkinder sind nicht fein genug, um auf deinen Perserteppichen zu spielen …
»Natürlich«, sagte Annika. »Das verstehe ich gut. Ich melde mich wieder, wenn es etwas Neues gibt.«
Sie drückte das Gespräch weg, ihre Finger zitterten vor Wut.
»Kein Glück gehabt bei Doris?«, fragte Halenius aus dem Schlafzimmer. Da hatte jemand gelauscht.
»Und rate mal, wie mich das überrascht«, sagte Annika und wählte die Nummer ihrer Mutter.
Barbro klang nüchtern, aber müde.
»Ich schufte die ganze Woche wie ein Ackergaul«, sagte sie, »von neun bis sechs.«
Wie ein Ackergaul? Bei normaler Vollzeit? Annika ließ die Übertreibung unkommentiert.
»Mama, könnte ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Ich beschwere mich ja gar nicht, so kurz bevor Weihnachten kann man das Geld ja gut gebrauchen.«
Es heißt »vor Weihnachten«.
»Wir haben Neuigkeiten im Zusammenhang mit Thomas«, sagte sie. »Die Geiseln werden sehr schlecht behandelt. Wir müssen versuchen, ihn so schnell wie möglich da rauszuholen, und deshalb dachte ich, du könntest Kalle und Ellen vielleicht für ein paar Tage nehmen.«
»Und abends muss ich Destiny babysitten, weil Birgitta Extraschichten im Supermarkt macht, Spätschicht …«
Annika schlug drei Mal mit der Stirn auf den Couchtisch, was hatte sie eigentlich erwartet?
»Okay«, sagte sie. »Hast du Birgittas Nummer?«
»Willst du dich endlich bei ihr entschuldigen?«
Sie setzte sich auf und atmete tief durch.
»Ja«, sagte sie.
Ihre Mutter gab ihr die Nummer, und damit war das Gespräch beendet.
Sie fröstelte. Die Kälte im Zimmer hatte sich in ihren Körper gefressen, ihre Finger und Füße waren eiskalt, sie zitterte. Halenius kam ins Wohnzimmer.
»Ist es sehr kalt hier drinnen?«, fragte sie.
»Wir müssen vielleicht schon morgen, spätestens Mittwoch fahren«, sagte er. Sie hob eine Hand.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich versuche es ja. Ich bin bereit, mich bis zum Gehtnichtmehr zu erniedrigen, nur um die Kinder unterzubringen. Okay?«
Er drehte sich um und ging zurück ins Schlafzimmer.
Sie wählte die Handynummer ihrer Schwester. Birgitta nahm sofort ab.
»Zuallererst«, sagte Annika und blickte in die Videokamera, die aufgebaut neben dem Fernseher stand und alles aufnahm, was sie sagte und tat. »Zuallererst möchte ich mich bei dir entschuldigen, weil ich nicht zu deiner Hochzeit gekommen bin. Es war falsch von mir, der Arbeit den Vorrang zu geben. Menschen sind immer wichtiger als Zeitungsartikel, das weiß ich jetzt.«
Und als sie das aussprach, wusste sie, dass es die Wahrheit war.
»Wow«, sagte Birgitta. »Madame Unfehlbar ist zur Einsicht gekommen. Worauf willst du jetzt hinaus?«
Es hatte keinen Zweck, um den heißen Brei herumzureden.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Annika. »Jemand muss sich um die Kinder kümmern, wenn ich nach Ostafrika fliege und versuche, meinen Mann da rauszuholen. Kannst du mir helfen?«
»So wie du mir am Samstag geholfen hast, meinst du?«
Sie legte die Hand über die Augen.
»Birgitta«, sagte sie, »wir haben eine Entführungszentrale in meiner Wohnung. Hier sind Leute vom Justizministerium, die versuchen, mit den Geiselnehmern zu verhandeln, damit sie Thomas freilassen. Wir haben Computer und Aufzeichnungsgeräte und weiß der Himmel was alles hier, und wir halten Kontakt zu den anderen Unterhändlern und ihren jeweiligen Regierungen …«
»Soll ich jetzt beeindruckt sein, wie toll du bist und wie bemerkenswert?«
Das brachte Annika zum Schweigen. Ganz unrecht hatte Birgitta nicht. In den letzten dreißig Jahren hatte sie konsequent versucht, Birgitta zu übertrumpfen, indem sie tüchtiger und besser war als sie, und sie hatte es geschafft, erst Sven und dann die Journalistenschule und danach all die guten Stellen, gekrönt von dem Korrespondentenjob in den USA , ein Mann, der in der Regierungskanzlei arbeitete, und zwei Kinder auf einer internationalen Privatschule. Das Statusrennen hatte sie gewonnen, daran bestand kein Zweifel.
Aber Birgitta hatte noch alle ihre Freunde. Birgitta fuhr nach Hause zu Mama und sah sich den »Eurovision Song Contest« an, sie hatte die alte Kate bei Lyckebo gekauft, und ihr war es gelungen, eigene Apfelbäume anzupflanzen.
»Entschuldige«, sagte Annika. »Entschuldige, dass ich angerufen habe. Mein Fehler. Ich verdiene keine Hilfe, nicht von dir.«
»Quatsch«, sagte Birgitta. »Ich arbeite diese und die
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