Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
wird irgendwo in Ostafrika gefangen gehalten. Sie drohen damit, ihn umzubringen.«
Birgitta ließ den Blick durchs Wohnzimmer wandern.
»Mama hat so was erwähnt. Das ist ja wirklich saublöd. Du Arme.«
Der Mann ließ sich schwer aufs Sofa fallen. Sofort bekam sein Oberkörper bedenklich Schlagseite. Er war kurz davor, im Sitzen einzuschlafen, und in Annikas Gehirn gab es einen Kurzschluss.
»Ihr könnt nicht hierbleiben«, sagte sie laut. »Nicht jetzt, nicht heute Nacht.«
Der Mann machte es sich auf dem Sofa bequem, legte die Füße mit Schuhen auf die Armlehne und stopfte sich ein Zierkissen unter den Kopf. Birgitta setzte sich neben ihn.
»Was macht es denn schon, wenn wir …«
Für ein paar Sekunden hielt sich Annika fest, ganz fest die Ohren zu.
»Haut ab«, sagte sie dann und zog am Arm des Mannes. »Raus mit euch, alle beide!«
»Reg dich ab«, sagte Birgitta und klang plötzlich klein und verängstigt. »Hör auf, so an ihm rumzuzerren. Er kann sehr böse werden.«
»Habt ihr keinen Anstand im Leib?«, fragte Annika mit einer Stimme, die zu kippen drohte. »Was fällt euch ein, euch hier mitten in der Nacht in meine Wohnung zu drängeln, nur weil ihr im Suff den letzten Zug nach Hause verpasst habt? Raus hier!«
»Du darfst so nicht mit Steven reden, das ist nicht gut«, fiepte Birgitta. Der Mann schlug die Augen auf und starrte Annika an.
»Du, du blöde …«, begann er.
Annika spürte den Luftzug, als die Schlafzimmertür aufging und Jimmy Halenius sich unmittelbar hinter sie stellte. Sie fühlte seinen Brustkorb am Rücken.
»Hast du einen Kerl im Schlafzimmer?«, fragte Birgitta.
»Andersson, Kriminalpolizei«, sagte Halenius und hielt seine Codekarte von der Regierungskanzlei hoch. »Diese Wohnung gilt als Tatort, wir ermitteln hier in einem schweren Verbrechen. Ich muss Sie bitten, sich umgehend zu entfernen.«
Der Effekt auf den großen Mann war beeindruckend. Er wurde auf der Stelle wieder nüchtern und erhob sich einigermaßen geschmeidig vom Sofa.
»Steven, komm«, sagte Birgitta und hakte ihn unter.
Das passiert ihm nicht zum ersten Mal, dachte Annika. Diesen Spruch hat er schon mal von der Polizei zu hören bekommen, und das hat Spuren hinterlassen. Spuren, die sogar einen Vollrausch durchdringen.
»Hier entlang bitte«, sagte Halenius und griff nach dem anderen Arm des Mannes.
Annika sah sie im Flur verschwinden, hörte, wie die Wohnungstür geöffnet und wieder geschlossen wurde und der Aufzug sich in Gang setzte. Sie stand noch immer im Lichtschein des Fernsehers und spürte ihr Herz klopfen.
Birgitta, die Lieblingstochter, das Nesthäkchen, die süße Blonde. Mamas kleines Herzchen, die mäßig begabte Prinzessin, die immer zur Lucia der Schule gewählt wurde.
Annika war ein Papakind. Schon als Kind dunkel und kantig, aber sie bekam früh Busen und große Augen und in allen Fächern Bestnoten, ohne auch nur ein Lehrbuch aufzuschlagen.
Halenius kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Andersson, Kriminalpolizei?«, sagte Annika.
Er seufzte und setzte sich auf ihren Sessel.
»Amtsanmaßung«, sagte er. »Ich gestehe es. Zehn Tagessätze, wenn ich verurteilt werde. Das waren also Ihre Schwester und Ihr Schwager.«
Annika spürte, dass ihr die Knie weich wurden, und sie sank auf das Sofa.
»Danke für die Hilfe«, sagte sie.
»Ich kann mich noch vom Schulfoto an sie erinnern«, sagte der Staatssekretär. »Sie ist eine Klasse unter Ihnen gewesen, stimmt’s? Rolle war auch ein bisschen in Ihre Schwester verknallt. Aber nicht so wie in Sie.«
»Alle waren in Biggan verknallt«, sagte Annika und lehnte den Kopf gegen die Wohnzimmerwand. »Ich glaube, in der Oberstufe war sie sogar mal kurz mit Rolle zusammen.«
»Ja«, sagte Halenius. »Aber nur, weil er Sie nicht kriegen konnte.«
»Das da ist ihre echte Haarfarbe«, sagte Annika. »Gesträhnt in verschiedenen Blondtönen. Es gibt Leute, die bezahlen ein Vermögen, um so auszusehen.«
»Wie alt ist sie? Siebenunddreißig? Sie sieht älter aus.«
Annika hob den Kopf und sah Halenius an.
»Wieso in aller Welt erinnern Sie sich daran, dass Birgitta mit Rolle zusammen war? Ich glaube kaum, dass Biggan das selbst noch weiß.«
Er lächelte und schüttelte den Kopf.
Sie beugte sich ihm entgegen.
»Wie gut kannten Sie Rolle eigentlich?«, fragte sie. »Hatten Sie viel miteinander zu tun?«
»Sehr viel.«
»Und er hat von uns gesprochen? Von Biggan und mir?«
»Ehrlich gesagt, hauptsächlich von dir. Die ganze
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