Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
andauernd geändert. Es ist wohl mehr oder weniger eine Klassifizierung.«
»Und die Tutsis waren die Privilegierten?«
»Die Belgier bekamen Ruanda 1916 als Protektorat. Sie verstärkten die Kluft noch, indem sie Pässe einführten, in denen die Stammeszugehörigkeit angegeben werden musste, und sie gaben den Tutsis die besseren Jobs und einen höheren Status.«
Er ließ den Film weiterlaufen. Die helle quäkende Stimme ertönte.
»Als Strafe für die Ignoranz und Bosheit der westlichen Welt hat Fiqh Jihad sieben EU -Delegierte als Geiseln genommen …«
Annika schloss die Augen. Ohne die englische Übersetzung hatten die Worte keinen Inhalt. Es war ein Lied in einer Bantusprache, die sie vermutlich nie wieder in ihrem Leben hören würde, eine Ode an das Verbrechen, das sie bis in alle Ewigkeit verfolgen würde.
»Allahu akbar« , endete der Gesang, und die Stille hielt Einzug.
»Das ist nicht Kinyarwanda, sondern Arabisch«, sagte Halenius.
»Allah ist groß«, sagte Annika.
»Eigentlich bedeutet es ›der Größere‹ oder ›der Größte‹. Es ist der erste Satz aller islamischen Gebete, wie es der Prophet Mohammed befohlen hat.«
Annika blinzelte auf den schwarzen Bildschirm.
»Die Leute in Ruanda sind doch keine Muslime?«
Halenius rollte mit dem Stuhl zurück und fuhr sich durchs Haar.
»Vor dem Völkermord gab es nur wenige, aber die christlichen Anführer haben dafür gesorgt, dass sich das änderte. Massenweise Priester, Mönche und Nonnen haben an den Massakern an den Tutsis teilgenommen, die Moslems sie hingegen geschützt.«
»Aber die sind doch verurteilt worden?«, fragte Annika.
»Einige, aber das hat nicht dazu beigetragen, das Vertrauen ins Christentum wiederherzustellen. Viele sind zum Islam übergetreten. Heute sind ungefähr fünfzehn Prozent der Bevölkerung Ruandas Muslime.«
»Spul den Film noch mal ein Stück zurück«, sagte Annika.
»Hm«, sagte Halenius. »Ich weiß nicht genau, wie das geht …«
Annika beugte sich vor und griff nach der Maus. Als hätte er sich verbrannt, zog er die Hand weg. Sie klickte auf ein Bild ein paar Sekunden vor Ende des Films, als der Mann mit kleinen ausdruckslosen Augen direkt in die Kamera blickte.
War dies das Böse, eindeutig und unverhüllt? Eine Waffe der Macht und Unterdrückung, die von gewalttätigen Ehemännern, Diktatoren und Terroristen mit demselben größenwahnsinnigen Glauben an ihr Recht auf Einfluss eingesetzt wurde? Du tust, was ich sage, und wenn du es nicht tust, bringe ich dich um. Oder sah sie dort etwas anderes? Eine Art Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, irgendeine Tat, die einfach begangen wurde, um überhaupt etwas zu tun? So wie Osama bin Laden, dieser mickrige Sohn eines reichen Mannes, endlich ein bisschen Bestätigung bekam, als er in den afghanischen Bergen kurz vor Ende des Krieges noch eine Schlacht gegen die Sowjetunion für sich entscheiden konnte? Er war ein Kriegsheld ohne Krieg, darum musste er sich einen neuen suchen. Und das tat er, proklamierte eigenständig einen Krieg gegen einen Feind, über den er nicht besonders viel wusste, und taufte diesen Feind »Großen Satan«. Und andere junge Männer ohne Ziel und Bestimmung hatten plötzlich einen Grund, morgens aufzustehen, sie hatten etwas, das ihnen wichtig war, sie kämpften für einen Gott, den sie selbst erfunden hatten, um sich an irgendetwas festhalten zu können.
»War dieser Film auch auf dem Server in Mogadischu?«
»Nein«, sagte Halenius. »Er kommt aus Kismayo, einer somalischen Stadt am Indischen Ozean. Ungefähr zweihundert, vielleicht zweihundertfünfzig Kilometer von Liboi entfernt.«
»Wie das? Und was macht das für einen Unterschied? Ich meine, was bedeutet das rein praktisch? Haben die Geiselnehmer die Filme von verschiedenen Orten aus hochgeladen? Oder kann man so etwas aus der Entfernung bestimmen? Welche Kommunikationsmittel verwenden sie? Satellitentelefone oder Handys oder irgendeine Art drahtloses Internet?«
Wieder raufte sich Halenius die Haare.
»Das ist mir erklärt worden, aber ehrlich gesagt kann ich es nicht wiedergeben …«
Sie musste gegen ihren Willen lachen.
»Mir reicht die Analyse.«
»Über die Server kann man die Geiselnehmer nicht ausfindig machen. Nach meinen Informationen konnte auch das Gespräch nicht aufgezeichnet werden. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass die Amis alles preisgeben, was sie wissen. Sie neigen ja dazu, Dinge für sich zu behalten …«
Ein anhaltendes
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