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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Klingeln draußen im Flur unterbrach ihn. Annika strich sich die Haare aus der Stirn.
    »Und Action«, sagte sie.
    Halenius sah ihr fragend nach.
    Sie ging hinaus in den Flur, die Klingel hörte nicht auf. Es gab nur zwei Sorten Menschen, die sich an einem Sonntagabend um halb elf Uhr so arrogant und aufdringlich benahmen: Reporter eines gesellschaftskritischen Fernsehmagazins oder Journalisten der Regenbogenpresse, und sie bezweifelte, dass an diesem Abend ausgerechnet Erstere hinter ihr her waren. Die Klingel schrillte noch immer. Annika warf einen schnellen Blick zum Kinderzimmer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die beiden aufwachten. Sie holte tief Luft und betrat das Treppenhaus. Ein Blitz traf sie und ließ sie Sterne sehen.
    »Annika Bengtzon«, sagte Bosse, »wir wollen Ihnen die Möglichkeit geben, einen Artikel in der morgigen Ausgabe unserer Zeitung zu kommentieren, der von …«
    »Verpiss dich, Bosse«, sagte sie. »Du brauchst gar nicht so zu tun, als wolltet ihr mir eine Chance für einen Kommentar geben, ihr wollt doch bloß ein frisches Foto von mir, auf dem ich schön verzweifelt aussehe.« Sie wandte sich an den Fotografen, der irgendwo hinter dem Blitzlicht schwebte.
    »War ich aufgewühlt genug?«, fragte sie.
    »Äh«, sagte der Fotograf, »hätte ich noch einen Schuss frei?«
    Annika sah Bosse an. Seine Kiefer waren bleich vor Anspannung. Innerlich war sie eigenartig kalt.
    »Ich kommentiere hier überhaupt nichts«, sagte sie. »Ich will, dass ihr mich in Frieden lasst, du und deine Zeitung. Meinungsfreiheit bedeutet, dass ich das Recht habe, meine Meinung zu sagen, aber auch mich zu enthalten. Klar?«
    Als sie sich umdrehte und zurück in die Wohnung ging, blitzte es hinter ihrem Rücken.
    »Journalisten haben die Pflicht, den Dingen auf den Grund zu gehen«, rief Bosse aufgebracht.
    Sie blieb stehen, warf einen Blick über die Schulter und bekam einen weiteren Blitz ins Gesicht.
    »Journalisten sind die Einzigen, die heutzutage damit durchkommen, andere Leute zu verfolgen und zu belästigen. Willst du mich vielleicht noch heimlich filmen? Polizisten und allen anderen ist das verboten, aber du darfst es!«
    Er blinzelte verwirrt. Jetzt habe ich ihn auf eine Idee gebracht, dachte sie. Dass ich auch nie die Klappe halten kann.
    Sie ging in die Wohnung und machte die Tür hinter sich zu.
    Halenius kam in den Flur. Er war kreidebleich im Gesicht.
    Annika spürte, wie ihr das ganze Blut aus dem Kopf in die Füße lief.
    »Was?«, fragte sie und stützte sich an der Wand ab. »Was?!«
    »Die Engländerin«, sagte er. »Catherine Wilson. Sie ist tot auf­gefunden worden. Irgendwo in der Nähe des Flüchtlingslagers in Dadaab.«
    Ihr Herz schlug wie wild. Hatte Bosse darauf abgezielt? Hatte er gehofft, dass sie das kommentierte?
    Halenius vergrub das Gesicht in den Händen, ließ dann plötz­lich die Arme fallen.
    »Sie wurde aufgeschlitzt. Von innen.«
    *
    Die Geräusche waren nachts viel lauter als tagsüber. Sie hallten hier drinnen von den Blechwänden wider, es raschelte und schabte, heulte und bohrte. Das Feuer der Wächter prasselte wie ein Wasserfall, die Falten ihrer Kleider knisterten, ihre Schritte ließen die Erde erbeben. Fieberhaft suchte ich nach einer Ecke, in der ich davon verschont blieb, wo die Geräusche mich nicht erreichten. Sie hatten mir Hände und Füße gefesselt, aber ich wand mich durch die Hütte, robbte und kroch vorwärts, doch die Töne jagten mich, sie verfolgten mich, ich konnte nicht entkommen. Irgendwann lag ich erschöpft auf dem dunklen Fleck, wo der Däne gestorben war, der Gestank der Latrine benebelte mich, aber dort schien es ein bisschen leiser zu sein, der Abstand zu den Geräuschen war größer, es war weiter bis zum Türloch, bis zu den Hütten draußen in der Manyatta und bis zu dem Blut, das die Erde sofort aufgesogen hatte, das braun und geronnen war. Die Erde hier ist so trocken, dass sie sich anfühlt wie Gestein, aber sie ist nicht aus Stein, sie lebt, denn sie schluckt alles, was man ihr gibt, Blut und Urin und Erbrochenes. Sie schluckt alles und versteckt es in ihrem Inneren. Nichts bleibt zurück. Die Erde sammelt alles in ihren Eingeweiden und macht es zu Gift und Galle. Sie haben versucht, mich zum Essen zu zwingen, aber ich habe das Essen auf die Erde geworfen. Sie werden mich nicht mehr zwingen, zu gar nichts. Gar nichts. Gar nichts. Ich habe das Wasser und das Essen der Erde zurückgegeben, es ihren stinkenden Gedärmen überlassen,

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