Anonym - Briefe der Lust
erinnern. „Ich nehme an, deshalb bist du mir im Mocha aufgefallen. Du kamst mir bekannt vor.“
Wenn man es so darstellte, klang die Geschichte viel besser, und Erics Grinsen wurde breiter. „Aha. Wow. Die Welt ist klein, nicht wahr?“
„Unendlich klein.“
Ich wollte ihn küssen. Ich wollte, dass er mich küsste. Stattdessen bückte ich mich, um den Rest der Wäsche aus dem Trockner zu holen und in meinen Korb zu legen. Als ich mich mit dem Korb in den Händen wieder aufrichtete, starrte er mich immer noch an.
„Was machst du, wenn du mit deiner Wäsche fertig bist?“ „Ich dachte, ich lese mein Buch …“ Ich schaute die Wanduhr an, dann wieder ihn. „Ich muss morgen arbeiten. Warum?“
„Ich habe vor, mir einen Film anzuschauen. Die Ritter der Kokosnuss. Kennst du ihn?“
„Nein“, sagte ich sehr langsam, weil ich nichts überstürzen wollte.
„Würdest du ihn gerne sehen?“
Ich tat, als müsste ich darüber nachdenken, obwohl ich innerlich schon längst JAJAJA schrie, wie Sally bei ihrem Restaurant-Orgasmus in Harry und Sally. „Fragst du mich, ob ich ihn mit dir sehen möchte?“
„So ist es.“ Er streckte die Arme zur Seite und zeigte mir seine geöffneten Handflächen. „Wie sieht es aus?“
„Sicher. Warum nicht? Lass mich nur rasch meine Wäsche wegräumen, und dann komme ich zu dir rüber.“
„Toll!“ Er zeigte mir seine geraden weißen Zähne, und ich konnte an nichts anderes denken als daran, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn er sie in mein Fleisch bohrte. „Sagen wir, so ungefähr in einer halben Stunde? In vierzig Minuten?“
„Klingt gut.“
„Ich wohne in hundertvierzehn“, sagte Eric.
Ich ließ meinen Wäschekorb fallen.
18. KAPITEL
„Ist alles in Ordnung mit dir?“ Eric hatte sich bereits hingekniet, um meine Wäsche vom Boden aufzusammeln, ich aber stand einfach nur mit geöffnetem Mund da.
Während sich die Welt einmal langsam um sich selbst drehte, veränderte sich alles.
Ich erholte mich gut, wenigstens so gut, dass Eric davon absah, meinen Puls zu fühlen und mir eine Herz-Lungen-Reanimation anzubieten. Ich sah zu, wie seine starken, großen Hände meine Wäsche glattstrichen und sie zurück in den Korb legten, und ich rührte mich nicht. Als er sich aufrichtete und mir den Korb reichte, nahm ich ihn.
„Es geht mir gut“, beantwortete ich seine Frage. Und ich klang auch so, als wäre alles in Ordnung. Mir gelang sogar ein Lächeln. Ich umklammerte den Wäschekorb so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Gleichzeitig starrte ich ihm unverwandt in die Augen. „Lass mich das hier nur schnell nach Hause bringen, und dann komme ich in deine Wohnung, okay?“
Wir fuhren gemeinsam im Aufzug. Dabei redeten wir miteinander, aber wenn ich heute versuche, mich zu erinnern, worüber wir gesprochen haben, ist mir das völlig unmöglich. Ich weiß aber noch, wie tief und volltönend seine Stimme klang und wie sich sein leises Lachen anhörte, als ich einen kleinen Scherz machte. Ich erinnere mich auch an die Geräusche, die die Stahlseile des Fahrstuhls von sich gaben, während wir aufwärts fuhren, und daran, wie die kühle Luft über mein Gesicht strich, als sich die Türen auf seiner Etage öffneten. Ich sehe immer noch vor mir, wie seine Augen leuchteten, als er sich zu mir umdrehte und mir mit halb erhobener Hand zuwinkte, während die Tür sich wieder schloss. Aber ich kann mich nicht erinnern, was wir sagten.
In meinem Apartment stellte ich den Wäschekorb aufs Bett, öffnete die Tür meines Nachtschränkchens und holte den zusammengefalteten Zettel mit meiner erotischsten Erinnerung und das Fläschchen mit dem restlichen Gleitmittel heraus, das ich wieder aus dem Papierkorb gefischt hatte, weil ich es doch schade fand, es wegzuwerfen. Ohne die Karten mit den Anweisungen hätte ich weder das eine noch das andere gehabt. Ich schaute mich in meinem Schlafzimmer um, betrachtete die neuen Kleider im Schrank, die Bücher im Regal und mein neues Ich im Spiegel, zu dem ich geworden war, weil ich die Briefe bekommen hatte.
Von denen keiner an mich gerichtet gewesen war.
Die alle für ihn bestimmt gewesen waren.
Der Klang meines Lachens schrillte in meinen Ohren, und ich presste meine Lippen fest aufeinander, damit mir kein Auflachen mehr entwischen konnte. Ich blickte auf das Durcheinander in meinem Wäschekorb hinab und dachte daran, wie Eric auf den Knie gelegen und alles wieder aufgesammelt hatte. Mein Herz schlug ein wenig
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