Anonym - Briefe der Lust
Brautjungfer sein“, bot Kira mir an.
„Sicher. Okay.“
Wir verabschiedeten uns mit einer angedeuteten Umarmung und einer kurzen Berührung unserer Wangen. Ich fragte mich, ob sie mich wirklich als Brautjungfer wollte und ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie mich nicht fragte.
Auf der Heimfahrt war ich froh, dass ich nicht sie war. Dass in meinem Leben nichts fehlte.
Und doch fehlte mir etwas, und die Karten in meinem Briefkasten gaben mir das, was ich brauchte. Eine wartete bei meiner Rückkehr auf mich. Während ich sie öffnete, zitterten meine Finger ein wenig. Was kommt nun? fragte ich mich. Zum Ausleben welcher Fantasie würde ich dieses Mal aufgefordert werden? Ich malte mir bereits aus, welches Papier und welchen Stift ich benutzen würde. Dieses Mal würde ich der Aufforderung, alles niederzuschreiben, nachkommen.
Morgen wirst Du ein blaues Shirt tragen.
Das war es also!
Ich glaube, ich fletschte meine Zähne, bevor ich mich rasch zusammennahm. Falls mich jemand beobachtete, gönnte ich ihm nicht die Genugtuung, meine Enttäuschung zu sehen.
Morgen wirst Du ein blaues Shirt tragen.
„Morgen“, murmelte ich, während ich die Karte in den Schlitz von 114 schob, „werde ich ein Oberteil in genau der Farbe tragen, die mir selber gefällt.“
Ich weigerte mich, auf dem Weg die vier Treppen hoch zu meinem Apartment daran zu denken, ebenso auf dem Weg zurück nach unten, als ich ins Untergeschoss eilte, um mein einstündiges Training zu absolvieren. Ich weigerte mich, über die Nachricht und die schlichte, knappe Anweisung nachzudenken, während ich schwitzte und Flüche in Richtung Fernseher schleuderte, auf dem wieder ganze Heerscharen von vollbusigen, schmalhüftigen Schönheiten ihre Mission verfolgten, allen anderen Frauen das Gefühl zu vermitteln, minderwertig zu sein. Ich weigerte mich, unter der Dusche daran zu denken, während ich meinen Körper einseifte, eine Haarspülung auftrug und meine Beine rasierte.
„Verdammt noch mal!“, schrie ich in mein leeres Zimmer hinein, als ich vor meinem Schrank stand.
Ich hatte keine sauberen blauen Blusen.
Ich schlüpfte in ein paar weiche Pyjamahosen, die mit einem Muster aus grinsenden Affenköpfen mit Weihnachtsmannmützen bedruckt waren, und drehte meine Haare strähnchenweise zu Schnecken, sodass sie nach dem Trocknen wellig sein würden. Ich schaltete den Fernseher ein und sofort wieder aus. Ich nahm ein Buch in die Hand und legte es sofort wieder weg.
„Mist!“
Ich legte mich auf mein Bett, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und starrte gegen die Decke. Der Putz war in kleinen, gleichmäßigen Kreisen aufgetragen worden. Genau in der Mitte der Decke befand sich eine runde Metallplatte. Mein Vormieter hatte die Deckenlampe und den Ventilator bei seinem Auszug mitgenommen, und obwohl der Hausmeisterdienst die Originalausstattung hätte ersetzen müssen, war das nie geschehen. Das Metall reflektierte das Licht meiner Nachttischlampe oder den Lichteinfall durchs Fenster, wenn es im Zimmer dunkel war. Manchmal, wenn ich nachts aufwachte, stellte ich mir vor, da oben unter der Decke hinge der Vollmond, der irgendwie hereingelangt war und mich nun beobachtete.
Beobachtete mich irgendjemand anders? Spielte jemand ein Spiel mit mir? Ich stützte mich mit dem Ellbogen ab, schaute mich in meinem Schlafzimmer um und blickte hinüber zu meinem Schrank, in dem reihenweise Shirts in allen erdenklichen Farben außer blau hingen.
Ich stieg aus dem Bett und durchwühlte meinen Korb mit der Schmutzwäsche. Blau war nicht gerade meine Lieblingsfarbe. Fürs Büro bevorzugte ich weiße Blusen, weil man sie bleichen konnte, wenn sie Flecke hatten. Ich besaß eine blaue Bluse, die ich jedoch normalerweise nicht zur Arbeit angezogen hätte. Der Ausschnitt war ein wenig zu tief, und der Schnitt ein bisschen zu körperbetont. Ich stellte mich vor den Spiegel, hielt mir die Bluse vor den Körper und drehte mich nach rechts und nach links. Wenn ich sie mit einer schwarzen Stoffhose kombinierte, würde es wahrscheinlich gehen. Mit einem Blazer darüber. Klar.
Und ich musste sowieso unbedingt waschen, beschloss ich, während ich Socken, Höschen und Handtücher in den Wäschekorb warf. Wenn ich es jetzt erledigte, musste ich es nicht später in der Woche tun. Und ich hatte sowieso nichts Besseres vor.
Ja.
Es ließ sich nicht verleugnen. Ich konnte nicht anders, als das zu tun, was die Karten mir befahlen. Aus welchem Grund auch immer. Selbst wenn
Weitere Kostenlose Bücher