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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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Auf vielen der Bilder war er selbst zu sehen, den Arm um die Schultern seiner Begleiter geschlungen. Nach den Fotos zu schließen, war er schon viel gereist. Ich meinte, das blaue Wasser der Karibik zu erkennen und das üppige Grün Hawaiis. Auf einem der Bilder trug er die weiße Uniform eines Besatzungsmitglieds auf einem Kreuzfahrtschiff und saß am Tisch des Kapitäns. Vielleicht als Schiffsarzt.
    Es sah nicht so aus, als hätte er eine Freundin. Oder einen Geliebten. Keine der Personen auf den Fotos stand dicht genug neben ihm oder himmelte ihn an. Eric war zweifellos ein rätselhafter Mann. Aber wenigstens konnte ich mir ziemlich sicher sein, dass er Single war.
    „Bist du bereit?“ Falls es ihn irritierte, dass ich seine Fotos betrachtet hatte, ließ er sich nichts anmerken.
    Ich setzte mich wieder auf die Couch und stellte die Schüssel mit dem Popcorn auf meine Knie. „Klar.“
    In Monty Pythons Die Ritter der Kokosnuss kommt nichts vor, das einen in Verlegenheit bringen könnte. Selbst die winzige Andeutung von Oralsex ist nicht wirklich sexy. Ich hatte den Film schon ein halbes Dutzend Mal gesehen, aber nie von Anfang bis Ende und nie vollkommen nüchtern. Und trotzdem fiel es mir furchtbar schwer, mich auf die Handlung zu konzentrieren. Neben mir streckte Eric seine langen Beine aus. Er hatte ein tiefes, ansteckendes Lachen, in das ich immer wieder einfiel, auch wenn der Film nicht sonderlich komisch war.
    Dennoch war der Film entschieden zu kurz. Ich hatte das abrupte Ende vergessen. Als Eric sich vorbeugte, um mit der Fernbedienung den Fernseher auszuschalten, rutschte sein T-Shirt hoch und entblößte einen schmalen Hautstreifen über dem Bund seiner Jeans. Am liebsten hätte ich mit meinen Fingerspitzen darübergestrichen, aber ich widerstand … wenn auch nur knapp.
    Als er sich umwandte, ertappte er mich dabei, wie ich ihn ansah. „Einer meiner Lieblingsfilme. Manchmal kann ich nach einem langen Tag in der Notaufnahme an nichts anderes denken, als nach Hause zu kommen und mir irgendeinen albernen Film anzugucken.“
    „Das kann ich gut nachvollziehen. Nach einem langen Arbeitstag kann ich mir manchmal überhaupt nichts anderes vorstellen als etwas Albernes.“ Ich lächelte ihn voller Sympathie an. „Und bei meiner Arbeit geht es nicht darum, Leben zu retten.“
    Über Erics gut aussehendes Gesicht glitt ein Schatten. „Leben zu retten ist nicht das Problem. Schlimm wird es, wenn das nicht gelingt. Tut mir leid, das Thema ist ein echter Stimmungskiller.“
    „Nein, es muss dir nicht leidtun. Du hast sicher in deinem Job eine Menge Stress.“ Ich sah ihm dabei zu, wie er den Blick abwandte.
    Als er mich wieder anschaute, lag erneut ein Lächeln auf seinem Gesicht, aber es war nicht so überzeugend wie das, was er vorher gezeigt hatte. „Stimmt. Na ja. Ich hatte auch schon ein paarmal Dienst auf der Sterbestation. Und auf der Kinderstation. Glaube mir, das war schlimmer. Viel schlimmer. In der Notaufnahme kann ich das meiste in Ordnung bringen. Ein paar Stiche, ein Gipsverband, ein Medikament. Ich stelle mich lieber einem ganzen Saal voller gebrochener Knochen und blutiger Nasen, als noch einmal auf der Sterbestation zu arbeiten.“
    „Ich kann nicht einmal damit umgehen, wenn ich selbst krank bin, ganz zu schweigen von anderen Kranken.“ Unwillkürlich erschauderte ich.
    Eric suchte aus der Popcornschüssel ein paar Kerne, die nicht aufgeplatzt waren, und zermalmte sie zwischen seinen Zähnen. „Es ist eine seltsame Sache. Als Kind war ich ständig krank. Jedenfalls kam es mir so vor. Dauernd erkältet. Heute glaube ich, dass ich eine Allergie hatte, aber damals wussten wir nur, dass mir ständig die Nase lief. Ich war ein Kind, das immer aussah, als hätte ihm jemand etwas Ekliges ins Gesicht geschmiert.“
    „Wie schön zu sehen, dass du diese Phase überwunden hast.“
    Ich fand es absolut bezaubernd, dass er beim Lächeln den einen Mundwinkel höher zog als den anderen. „Ja. Jedenfalls wurde ich älter, und ich beschloss, dass ich Arzt werden wollte. Und meine Mutter – man sollte meinen, sie wäre stolz, einen Arzt zum Sohn zu haben – sagte nur: ‚Aber Eric, denk an all die Bakterien!‘“
    „Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen.“ Ich schaute hinunter auf die Schüssel mit Popcorn, aus der wir beide gegessen hatten, und versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob er sich nach der Arbeit die Hände gewaschen hatte.
    „Aber ich bin all die Jahre nicht krank

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