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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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gehalten. Warum hatte er sich nicht mehr Mühe gegeben? Warum hatte er die Zeit seiner Geliebten verschwendet?
    Ich zweifelte nicht länger daran, dass der Absender der Nachrichten eine Frau war.
    Männer waren nicht so wortgewandt. Männer waren nicht in der Lage, in so kühlem Ton Anweisungen zu erteilen, selbst wenn sie Gefühle hervorlocken wollten. Nur Frauen konnten so tief graben und so viel ans Licht bringen.
    Ich tippte schneller, machte Fehler und korrigierte sie, denn ich wollte verdammt sein, wenn ich fehlerhafte Arbeit ablieferte und Paul einen Grund gab, mich zu tadeln. Hinter seiner halb geschlossenen Tür hörte ich die Musik anschwellen, aber er stellte keinen anderen Sender ein. Er schaltete auch nicht die Deckenbeleuchtung an. Ich konzentrierte mich auf meine Aufgaben, aber an diesem Tag befriedigte meine Arbeit mich nicht.
    Verdammt!
    Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und murmelte vor mich hin. Nichts machte mir Spaß, und ich wusste auch, warum. Es ging nicht nur darum, dass keine Nachrichten mehr kommen würden, sondern auch darum, dass ich das Geheimnis inzwischen zur Hälfte gelöst hatte. Ich wusste, an wen die Briefe gerichtet waren, wenn ich auch keine Ahnung hatte, von wem sie stammten. Und seit ich es wusste, musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken.
    Was wäre, wenn ich nicht herausgefunden hätte, dass sie für Eric waren, einen Mann. Wie ich empfinden würde, wenn sich durch dieses Wissen meine Einstellung zu diesen Nachrichten nicht grundsätzlich verändert hätte. Wenn. Wenn. Wenn!
    „Paige?“, rief Paul. „Können Sie bitte für eine Minute kommen?“
    Das konnte ich natürlich, obwohl ich bezweifelte, dass er immer noch so begeistert von der stillen, unterwürfigen Paige sein würde, wie er es bisher gewesen war. Ich schob meinen Bürostuhl zurück und stand auf. In meinen teuren Schuhen war ich größer als früher. Auf einer der Karten hatte gestanden, dass ich mir diese Schuhe kaufen sollte. Diese Bluse und diesen Rock. Meine Rüstung, wenn ich wollte, dass die Welt mich als die sah, als die ich gesehen werden wollte, und nicht als die, für die sie mich vielleicht hielten.
    „Ja, Paul.“
    Zum ersten Mal seit vielen Wochen setzte ich mich nicht hin, um mit ihm zu reden. Er musste seinen Stuhl ein wenig zurückschieben, um mir ins Gesicht sehen zu können. Ich spürte den Unterschied, und ich glaubte, er auch, denn als er anfing zu reden, klang er ein wenig unsicher.
    „Vielen Dank, dass Sie mein Büro vorbereitet haben.“
    „Gern geschehen.“
    Ich dachte, er würde noch etwas sagen, aber Paul wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Computer zu und machte mir mit seinem Schweigen klar, dass ich wieder gehen konnte. Als ich wieder an meinem Schreibtisch saß, hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte, aber es war mir nicht so wichtig, dass ich mir Sorgen gemacht hätte.
    Als um kurz vor zwölf mein Handy klingelte, wäre ich fast nicht dran gegangen. Ich wollte nicht mit Austin sprechen. Aber es war mein Dad, was eine noch größere Überraschung war. Ich klappte das Telefon auf und presste es an mein Ohr, obwohl ich normalerweise während der Arbeitszeit keine Privatgespräche führte.
    „Dad. Hi.“
    „Woher wusstest du, dass ich es bin?“
    „Ich kann die Nummer des Anrufers auf dem Display sehen, Dad. Und ich habe deine Nummer einprogrammiert.“ Obwohl ich sie nicht gerade häufig wählte.
    Er liebte technische Spielereien, war aber nicht gerade begabt für Technik. „Dir kann man nichts vormachen, stimmt’s? Was hast du während der Mittagspause vor?“
    „Ich habe mir ein Sandwich mitgebracht.“
    „Wie wär’s, wenn ich dich zum Lunch ausführe? Ich bin heute wegen eines Meetings bei dir in der Gegend. Stella ist unterwegs, um einzukaufen oder etwas in der Art. Wir wären also zu zweit. Du und ich.“
    Mein Dad hatte sich im vergangenen Jahr vorzeitig zur Ruhe gesetzt, aber obwohl er es einige Male erwähnt hatte, war dies das erste Mal, dass er mich tatsächlich zum Lunch einlud. Wir verabredeten uns in einem Restaurant nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt. Ich klopfte an Pauls Tür, um ihm zu sagen, dass ich jetzt ging. Er war offenbar tief in seine Arbeit versunken, denn ich musste zweimal klopfen, bis er den Kopf hob. Wenn er so weitermachte, würde er Kopfschmerzen bekommen, obwohl die Deckenbeleuchtung ausgeschaltet war.
    „Paul. Ich treffe mich mit meinem Dad zum Lunch. Deshalb würde ich gern eine

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