Anonym - Briefe der Lust
größte Andrang vorbei war, und war froh darüber, als ich durch das kleine Glasfenster meines Briefkastens den vertrauten Umriss einer weißen Briefkarte sah. Mit angehaltenem Atem nahm ich sie heraus. Mehr denn jemals zuvor war mir bewusst, wie falsch es war, diese Nachrichten zu lesen.
Das hielt mich nicht davon ab. Ich stopfte die übrige Post in meine Tasche und zog die Karte aus dem Umschlag. Mein Herz schlug schneller in Erwartung dessen, was ich heute lesen würde und wie anders es sich nun anfühlen würde, da ich wusste, an wen die Worte in Wahrheit gerichtet waren.
„Nein“, stieß ich ungläubig hervor und starrte auf die Karte.
Ich klappte sie zu, als würde sich dadurch ändern, was ich darauf gelesen hatte, aber wie eine Flammenschrift verbrannten die Worte durch das Papier meine Finger.
Nein. Nein, nein, nein.
Dies ist die letzte Nachricht an Dich.
Das konnte nicht sein! Es durfte nicht sein! Ich würde nicht zulassen, dass es so war!
Du hast Dich gut geschlagen, obwohl ich zu wissen glaube, dass Du weiter an Deiner Disziplin arbeiten musst. Solltest Du mehr Anweisungen und Ermutigungen wünschen, könnte ich in Erwägung ziehen, Dir weiterhin Anweisungen zu erteilen. Aber nur wenn Du unmissverständlich Dein Einverständnis kundtust. Du weißt, wie Du mit mir in Kontakt treten kannst.
Geh nicht davon aus, dass Du es wert bist, noch mehr von meiner Zeit zu beanspruchen. Das kann nur ich entscheiden.
Wow, und oh nein! Ich steckte die Karte zurück in den Umschlag und presste ihn an meine Brust, während ich zur Seite trat, um Platz für die hochnäsige Frau zu machen, die mich schon mehrmals aufgefordert hatte, zur Seite zu gehen, damit sie an ihren Briefkasten kam. Sie warf mir einen neugierigen Blick zu, aber etwas in meinem Gesicht muss einschüchternd genug ausgesehen haben, um sie rasch wieder wegschauen zu lassen.
Ich wandte mich von den Briefkästen ab, während ich die Nachricht immer noch an mich presste. Am liebsten hätte ich geweint. Oder gekotzt. Ich wünschte mir, ich könnte die Nachricht wieder zurücklegen und so tun, als hätte ich sie nie gelesen.
Doch stattdessen tat ich etwas, das ich noch nie gemacht hatte. Ich steckte sie in meine Tasche.
Und behielt sie.
Als ich zur Arbeit kam, war Paul nicht in seinem Büro, und das war gut so. An diesem Morgen hatte ich keine Zeit, mir seinetwegen Gedanken zu machen oder mich mit seinen Listen zu beschäftigen, die niemals so wichtig für mich sein konnten wie die Nachricht in meiner Tasche. Ich hatte die Karte noch nicht wieder herausgenommen, um sie anzusehen, dennoch erinnerte ich mich an jeden Strich und jeden Bogen jedes Buchstabens und jeder Zeile.
Ich kochte Kaffee und stellte eine Tasse für Paul mit Zucker und Kaffeeweißer neben die Kanne. In seinem Büro machte ich anstelle der Deckenbeleuchtung, von der er Kopfschmerzen bekam, die Schreibtischlampe an, und ich legte alle Akten bereit, die er bearbeiten musste. Ich stellte sogar sein Radio ein, allerdings wählte ich anstelle des Softrock-Senders, den er normalerweise hörte, einen mit alternativem Pop.
All das erledigte ich ohne Liste und nicht, weil ich Angst vor dem hatte, was geschehen würde, wenn er kam und feststellte, dass es nicht getan worden war. Ich traf diese Vorbereitungen einfach nur, weil Paul diese Dinge brauchte, um arbeiten zu können. Wenn mein Chef arbeitete, hatte er weniger Zeit, um mich herumzuschleichen, und – einfach ausgedrückt – ich würde Herumschleicherei an diesem Tag nicht ertragen.
Ich erledigte ein paar Anrufe und hatte bereits einen Teil meiner Arbeit geschafft, als er mit gerunzelter Stirn hereinkam.
„Ich brauche bitte Kaffee, Paige.“
Ich deutete in Richtung Kaffeekanne. „Ist schon alles vorbereitet, Paul.“
„Danke“, sagte er automatisch, dann betrachtete er den Becher und anschließend mich. „Vielen Dank, Paige.“
Ich nickte, hob aber nicht den Kopf von meiner Arbeit. An diesem Tag hatte ich viel zu tun und konnte ihm nicht mehr Aufmerksamkeit widmen. Die meisten meiner Gedanken drehten sich um die Frage, was ich ohne die Karten anfangen sollte. Paul verschwand in seinem Büro und schloss die Tür, und ich stieß den Seufzer hervor, den ich unterdrückt hatte.
Während ich tippte, zitterten meine Finger vor Wut. Was für ein Dummkopf Eric gewesen war! Er hatte Strenge und Disziplin gewollt und von Anfang an alles falsch gemacht. Er hatte sein Essay zu spät geschrieben und sich nicht an die Anweisungen
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