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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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zusätzliche Stunde Mittagspause machen. Ich kann dafür abends länger bleiben, wenn Sie mich brauchen.“
    Er schüttelte den Kopf. „Nein, Paige. Das ist nicht nötig. Ich wünsche Ihnen viel Spaß.“
    „Soll ich Ihnen irgendetwas zu essen mitbringen?“ „Nein.“ Seufzend deutete er auf den Monitor. „Ich muss das hier unbedingt fertigmachen, bevor ich nächste Woche nach Kansas fahre.“
    „Sie haben meine Handynummer, falls Sie mich brauchen“, erinnerte ich ihn. „Rufen Sie mich an, wenn Ihnen doch noch etwas einfällt.“
    Paul hat ein sehr hübsches Lächeln, das er viel zu selten einsetzt. Zwar sieht er auch lächelnd nicht aus wie ein Filmstar, aber man kann dann sofort verstehen, warum seine Frau ihn geheiratet hat.
    Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit meinem Dad essen gegangen war. Normalerweise gelang es ihm, sich an meinen Geburtstag zu erinnern, wenn schon nicht an das genaue Datum, dann doch wenigstens an den Monat. Auch an den wichtigsten Feiertagen dachte er meistens an mich. Da es sich jedoch um einen völlig normalen Tag handelte, war es ziemlich ungewöhnlich, dass er mich eingeladen hatte. Zur Begrüßung umarmte und küsste er mich, wie er es immer tat. Und wie immer fühlte ich mich ein wenig unbehaglich dabei, was bei ihm nicht der Fall zu sein schien.
    Wir bestellten beide das Gleiche, Suppe und Salat. „Stella hat mich auf Diät gesetzt“, erklärte er. „Sie meint, wir sollten beide ein paar Pfund leichter werden. Du siehst auch so aus, als hättest du ein bisschen abgenommen.“
    „Ich habe viel Sport gemacht.“ Mein Dad ist ziemlich gut darin, mir ein Kompliment zu machen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass ich mich schlecht fühle.
    „Wir haben uns gerade einen Ellipsentrainer und eine Hantelbank gekauft. Du kannst gern vorbeikommen und die Sachen benutzen.“ Er bestrich ein Brötchen, das bereits vor Fett triefte, dick mit Butter.
    „Es gibt einen Fitnessraum in meinem Apartmentgebäude. Trotzdem danke.“ Ich dachte an das Wort Disziplin und seine Bedeutung für mich und verzichtete auf Brötchen. Ich unterließ es auch, darauf hinzuweisen, dass es nicht besonders sinnvoll war, die weite Strecke zum Haus meines Dads zu fahren, um dort zu trainieren.
    „Du könntest trotzdem irgendwann in dieser Woche mal vorbeikommen.“
    Früher hätte ich ein hässliches Lachen hervorgestoßen und seine Einladung mit einem Achselzucken abgetan, weil ich sehr genau wusste, dass er sein Angebot zwar ernst meinte, es aber gar nicht merken würde, wenn ich nicht kam. Echte Einladungen von der Sorte, bei der man erwartete, dass ich auch erschien, kamen von Stella. So war es schon immer gewesen. Doch dieses Mal klang er irgendwie anders.
    „Sicher, das könnte ich machen.“
    „Dein Bruder war in letzter Zeit ein bisschen schwierig“, erklärte mein Dad.
    Da in diesem Moment die Kellnerin unsere Suppen brachte, antwortete ich nicht. Mein Dad, und das war typisch für ihn, ignorierte die Serviererin und schüttete vor einer vollkommen Fremden sein Herz aus, obwohl ich es vorgezogen hätte, wenn er damit ein paar Minuten gewartet hätte. Aber gut, es ging nicht um meine Geheimnisse.
    „Jeremy“, fügte er hinzu. „Er hat sich in der Schule danebenbenommen und zu Hause auch Ärger bekommen. Er hört nicht im Geringsten auf das, was wir ihm sagen.“
    Ich hielt es nicht für angemessen, ihn darauf hinzuweisen, dass so etwas mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann passierte, wenn ein Kind ständig seinen Willen bekam, also beschränkte ich mich auf mitfühlendes Gemurmel.
    „Er war mir gegenüber richtig frech und vorlaut.“
    „Kinder durchlaufen verschiedene Entwicklungsphasen, nicht wahr?“
    Mein Dad lächelte mich liebevoll an. „Du hast das nicht getan.“
    Entscheidungen. Wir alle müssen sie treffen, manche immer wieder aufs Neue. In einigen Fällen zeigen die Entscheidungen, die wir wieder und wieder treffen, wer wir sind; häufiger sagen aber die, denen wir aus dem Weg gehen, mehr über uns aus.
    „Kinder, die sich der Zuneigung ihrer Eltern sicher sind, können es riskieren, ihre Gefühle auszuleben“, bemerkte ich in ruhigem Ton. „Ich habe früher meiner Mom das Leben ziemlich schwer gemacht.“
    Mein Dad ist nicht dumm, obwohl er sich bei manchen Dingen schlichtweg weigert, sie zu sehen. Er seufzte. „Ich weiß, dass ich nicht immer für dich da war, Paige.“
    Ich griff nach meinem Löffel, um meine Hände irgendwie zu beschäftigen, aber

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