Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
passiert, wenn Rita das Kind, das sie in sich trägt, zur Welt bringt, in eine Welt, wo die Atmer wissen, dass wir Untote sind. Was umso problematischer ist, wenn man bedenkt, dass ich seit kurzem eine Berühmtheit bin. Und das Fernsehinterview, das Ted gegeben hat, wirft bestimmt ein paar ernste Fragen zu meinem körperlichen Zustand auf. Obwohl ich jüngst meinen Konsum von Menschenfleisch reduziert habe, um den Verdacht etwas zu zerstreuen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand, der das Interview gesehen hat, Nachforschungen anstellt und herausfindet, dass ich die Hand, die mich gefüttert hat, verspeist habe. Und dann wird man mich zusammen mit meinem Traum von einer neuen Familie vernichten.
Ian wird für Rita und mich falsche Pässe und Flugtickets nach Schottland besorgen, wo ein Teil seiner Familie lebt, der uns dabei hilft, einen Neuanfang zu machen und einen Unterschlupf in den abgelegenen West Highlands zu finden - mit der Betonung auf »abgelegen«. Das Letzte, was wir wollen, ist ein Ort voller Medienunternehmen, Touristen oder Leute mit Kameras. Wir hatten zunächst Montana und Wyoming in Betracht gezogen, halten es jedoch für sinnvoll, uns dem Zugriff der großen amerikanischen Medienkonzerne
zu entziehen. Allerdings mussten wir Ian versprechen, dass wir keinen seiner Familienangehörigen verspeisen, was kein allzu großes Problem darstellt, denn ich bin noch nie ein großer Fan von schottischem Essen gewesen. Natürlich müssen wir vor unserer Abreise einige Sicherheitsmaßnahmen treffen - wie beispielsweise unser Äußeres verändern; das heißt, ich muss genug Menschenfleisch essen, damit meine Wunden verheilen, und, so gut es geht, die Öffentlichkeit meiden. Fehlen noch etwas Make-up, getönte Kontaktlinsen, falsche Brillen und gefärbte Haare, dann sollten wir reisefertig sein.
Obwohl wir beide nicht gerade begeistert sind, dass wir das Land verlassen müssen, ist uns klar, dass unsere Alternativen ziemlich begrenzt sind. Früher oder später werden wir von den Ereignissen hier eingeholt, und ich habe so ein Gefühl, dass das eher früher als später passieren wird. Laut Ian müssten die Pässe innerhalb einer Woche fertig sein. Danach brauchen wir nur noch unsere Koffer zu packen, den Hausstand meiner Eltern, soweit es geht, aufzulösen und ins Flugzeug zu steigen.
Wir haben den anderen von Ritas Schwangerschaft und unseren Ausreiseplänen erzählt. Sie verstehen uns, waren traurig und haben sich für uns gefreut, und alle haben geweint. Sogar Carl. Und da heute Silvester ist, ist das für uns alle auch eine Art Abschiedsparty. Das Ende nicht nur unserer bisherigen Existenz, sondern auch unserer Freundschaft und unserer gemeinsamen Erfahrungen. Es ist schon schwer genug, eine Freundschaft über Kontinente und Ozeane hinweg aufrechtzuerhalten. Aber wenn man die Identität wechselt und sich als Mensch ausgibt, erregt man mit Zombies als Brieffreunden in der alten Heimat eine Menge Aufmerksamkeit.
Jetzt, da die letzten Minuten des Jahres verstreichen, erheben wir alle das Glas, um uns zuzuprosten. Nicht nur aus gegebenem Anlass, sondern auch aus Dankbarkeit dafür, wie viel wir einander bedeuten und wie viel wir hinter uns gelassen haben.
Wir sind nicht allein.
Wir haben unsere Bestimmung gefunden.
Wir sind alle Überlebende.
Nachdem wir angestoßen haben und jeder seinen letzten Bissen Menschenfleisch mit Champagner runtergespült hat, begeben wir uns zusammen nach draußen für die erste Welttodestour des Jahres. Leslie bleibt bei Ian im Haus, um beim Saubermachen zu helfen, während Zack und Luke in mein Haus zurückkehren, um ein wenig zu schlafen, damit sie morgen in aller Frühe damit beginnen können, meine Termine zu planen.
Sie müssen unbedingt eine Gehaltserhöhung bekommen.
Der Santa Cruz Memorial Park and Funeral Home liegt direkt neben der Ocean Street, unweit der Stelle, wo der Highway 1 und der Highway 17 aufeinandertreffen. Keiner von uns hat hier Freunde oder Angehörige liegen, darum haben wir ihn nie aufgesucht, aber er schien uns geeignet, um wieder loszulegen. Oder aufzuhören, je nach Standpunkt.
Der Himmel ist wolkenlos, und der Mond, der in zwei Tagen voll sein wird, taucht den Friedhof in sein fahles Licht. Hin und wieder kann ich meinen Schatten sehen. Rita, die neben mir herläuft, wirkt fast körperlos, und ihr Gesicht scheint in der schwarzen Kapuze ihres Sweatshirts zu schweben. Ab und zu kann ich ihren Atem in der kalten Januarluft
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