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Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte

Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte

Titel: Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S G Browne
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Rita hinüber, die jetzt die Fingernägel ihrer rechten Hand ablutscht. Ihre Zunge ist schon ganz rot. Ich frage mich, ob der Nagellack von Revlon oder Estée Lauder ist.
    Helen wendet sich wieder in unsere Richtung und setzt sich wieder. Unter die Frage WARUM SIND WIR HIER? hat sie folgende Worte an die Tafel geschrieben:
    FINDET EURE BESTIMMUNG.
    »Tom, du meintest, wir sind hier, weil wir nicht sterben sollten«, sagt Helen.
    Tom nickt und lässt seinen Blick umherschweifen, während er mit der linken Hand die leere Gelenkpfanne massiert, in der mal sein Arm steckte.

    »Möchtest du das näher ausführen?«, sagt sie.
    »Sicher«, sagt Tom. »Wisst ihr, als ich Vegetarier wurde, war das keine bewusste Entscheidung.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagt Carl.
    »Wie auch immer«, sagt Tom. »Ich bin aus keinem bestimmten Anlass oder aus Gesundheitsgründen Vegetarier geworden. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf Fleisch. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Es hat sich einfach zufällig so ergeben, und ich habe mich darauf eingelassen.«
    »Und?«, sagt Jerry. Seine Lippen sind von der Traubenlimonade, die er trinkt, ganz violett. »Sind wir alle etwa … also, untot, weil wir aufhören sollen, Bic Macs zu essen?«
    »Nein. Ich will damit sagen, dass es diesmal anders ist«, sagt Tom. »Ich habe mir das hier ebenfalls nicht ausgesucht, aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht zufällig überlebt habe, sondern aus einem bestimmten Grund.«
    »Zu einem bestimmten Zweck«, sagt Helen.
    Tom nickt.
    Ich lasse meinen Blick durchs Zimmer wandern. Zu Carl, der an den Stichverletzungen in seinem Gesicht herumknibbelt. Und Tom, der nur noch einen Arm und ein halbes Gesicht hat. Zu Rita, die an ihren Fingernägeln lutscht. Und Jerry, der mit seinen roten Wangen und violetten Lippen wie ein Idiot grinst. Und zu Naomi, deren Augenhöhle ein dunkles, zerfetztes Loch ist.
    »Keiner weiß genau, warum wir überlebt haben und andere nicht«, sagt Helen. »Aber Tom hat Recht. Wir alle sind zu einem bestimmten Zweck hier, und jeder von euch muss herausfinden, worin der besteht.«
    »Wenn du mich fragst«, sagt Jerry, »liegt meine Bestimmung darin, die Ladys mit einer ganz neuen Definition des Begriffs ›Ständer‹ vertraut zu machen.«

    Jerry ist der Einzige, der über seinen Witz lacht; er prustet lauthals los, wirft den Kopf in den Nacken und bleckt seine Zähne, die wie Medaillen aufblitzen.
    Doch die Tatsache, dass Jerry als Einziger lacht, scheint Helen zu amüsieren, und sie fängt an zu kichern. Tom stimmt ebenfalls mit ein, dann Naomi, und kurz darauf sind alle am Lachen, was mich an einen Traum erinnert, den ich gestern Nacht hatte.
    Wir hocken alle in einer Stretch-Limousine, wie in einem dieser Schlitten von Hummer. Jerry hält eine Flasche seines geliebten Jack Daniels in der Hand und kippt sie sich direkt über sein freiliegendes Gehirn, damit er schneller betrunken wird. Tom nimmt immer wieder seinen rechten Arm ab und steckt ihn zurück ins Gelenk, wie bei einem Zaubertrick, während Helen lachend die Rückseite ihres Hemds anhebt und ihre Austrittswunden präsentiert. Naomi telefoniert mit dem Handy und trinkt Champagner; in der Augenbraue über ihrer leeren Augenhöhle steckt ein winziges handgemaltes Schild mit der Aufschrift: »Zimmer zu vermieten«. Carl hantiert an einem Grill herum, der Rauch zieht durch das Schiebedach der Limousine nach oben ab. Er schneidet ein Steak an und steckt das Messer zurück in eine der Wunden in seinem Gesicht. Rita sitzt mir direkt gegenüber, ohne Kapuze, ohne Rollkragenpullover, ohne Schal, nur mit einem schwarzen Abendkleid mit Spaghettiträgern bekleidet, das bis zu den Knien reicht. Ihr freiliegendes Fleisch schimmert wie Alabaster und ist mit Narben übersät. Sie sehen großartig aus.
    Ich habe keine Ahnung, was der Traum zu bedeuten hat; als ich jedoch zu mir kam, war ich von einem angenehmen Gefühl erfüllt, einer eindeutig positiven Stimmung. Vielleicht
war das nur eine trügerische Hoffnung, aber die Stimmung in der Limousine ließ sich nicht leugnen.
    Wir waren alle glücklich.
    Für die nächste halbe Stunde verzichtet Helen auf den üblichen Ablauf, und wir reden über das, was wir tun würden, wenn wir könnten, ohne uns Gedanken über unsere Identität oder unser Aussehen zu machen oder darüber, was die anderen von uns denken. Das heißt: alle anderen reden. Ich schreibe etwas auf meine Tafel und grunze dazu oder stoße hin und wieder einen Schrei aus,

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