Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
vergewissert haben, dass aus keiner der beiden Richtungen ein Auto kommt, wenden wir und halten mit laufenden Motoren kurz vor dem Aussichtspunkt. Bevor wir vom Getreidespeicher losgefahren sind, haben wir die Kühlbox, meinen Rucksack und den Müllbeutel mit der schmutzigen Bettwäsche meiner Eltern in den Lumina umgeladen, also müssen wir jetzt
nichts weiter tun, als den Eisblock platzieren, in der Hoffnung, dass niemand hier aufkreuzt.
Rita setzt sich hinter das Steuer des Lumina, während Jerry den Eisblock in den BMW meiner Eltern trägt. Nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass der Wagen direkt auf die Ausweichbucht ausgerichtet ist, löse ich die Handbremse, schalte in den Leerlauf, kurble das Fenster auf der Fahrerseite herunter und steige aus dem Wagen. Mir ist klar, dass das geöffnete Fenster bei diesem Wetter verdächtig wirken könnte, doch ich versuche nur, etwas Zeit zu gewinnen, und nicht das perfekte Verbrechen zu begehen. Außerdem wüsste ich keine andere Möglichkeit, den Gang einzulegen, während ich daneben stehe.
Jerry legt den Eisblock aufs Gaspedal, und die Tachonadel schnellt auf 4000 Umdrehungen pro Minute hoch. Sobald er zur Seite getreten ist, lege ich ein Stück Seil um den Schalthebel der Automatik in der Mittelkonsole, und nachdem ich die Tür geschlossen habe, nehme ich die beiden Enden und ziehe sie durchs Fenster.
Ein Teil von mir findet, dass ich ein paar Worte sagen sollte, um das Ereignis angemessen zu würdigen, oder dass ich wenigstens um Vergebung bitten sollte für das, was ich getan habe. Also sage ich meinen Eltern, dass es mir leidtut und dass sie mich hoffentlich verstehen. Dann ziehe ich an beiden Enden des Seils, bis der Schalthebel in die Fahrstellung rutscht, und lasse eines davon los, während die Vorderräder des BMW für ein paar Sekunden auf dem nassen Asphalt durchdrehen. Im nächsten Augenblick setzt sich der Wagen in Bewegung und rast auf den Aussichtspunkt zu.
Mir bleibt noch ein kurzer Moment, um zu überlegen, was ich tue, falls der Wagen vom Kurs abkommt oder der
Eisblock vom Gaspedal gleitet, dann schießt der BMW auf den Aussichtspunkt zu, trifft auf die Felsen, rast über die Klippe und stürzt in die Tiefe.
Jerry rennt zum Felsvorsprung und wirft einen Blick hinunter. Mir ist klar, dass wir uns besser aus dem Staub machen sollten, bevor jemand vorbeifährt, aber ich muss ebenfalls nachschauen. Ich erreiche den Vorsprung gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der BMW, mit dem Dach voran, aufs Wasser trifft. Von hier aus ist nur ein leises Klatschen zu hören. Für einen Moment treibt er mit rotierenden Reifen auf der Oberfläche, das Fahrgestell gen Himmel gerichtet, dann verschwindet er zwischen den Wellen.
Jerry dreht sich zu mir um und sagt: »Alter, der Hammer.«
Außer ein paar großen Felsbrocken, die zur Seite geflogen sind, deutet nichts darauf hin, dass hier ein Auto über die Klippe gerast ist.
In diesem Augenblick fährt Rita mit dem Lumina vor. »Los, ihr beiden. Ende der Vorstellung. Hauen wir ab.«
Jerry klettert auf den Rücksitz, während ich mich vorne neben Rita setze. Nachdem wir uns ein weiteres Mal vergewissert haben, dass der Highway in beiden Richtungen frei ist, wendet Rita den Wagen und fährt den Weg zurück, den wir gekommen sind.
»Gab’s Probleme?«, fragt sie.
Ich schüttle den Kopf.
Die gepackten Koffer meiner Eltern befinden sich im Kofferraum des BMW. Rita und ich haben Handschuhe getragen, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Bald wird vom Eisblock nichts mehr übrig sein. Und wenn man den Wagen findet, führt man die Tatsache, dass sich im Innern
keine Leichen befinden, hoffentlich auf die Gezeiten, die Strömung und hungrige Meeresbewohner zurück.
Zumindest hoffe ich das. Irgendwann wird jemand bemerken, dass meine Eltern nicht zu Hause sind, und selbst wenn ich es schaffe, alle Beweise zu beseitigen, wird man mich verdächtigen, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Doch wenn du mit deiner untoten Freundin bei Kerzenschein Teile seiner Mutter verspeist hast, ist dir ohnehin ziemlich klar, dass du einen Weg eingeschlagen hast, den die meisten Menschen nicht nachvollziehen können.
Außer uns ist auf dem Highway zwischen Big Sur und Carmel lediglich ein anderer Wagen unterwegs, und in Monterey herrscht nur leichter Verkehr, während die Sonne aufgeht. Dort nehmen wir die Ausfahrt, und hinter einem geschlossenen Lebensmittelladen finden wir einen Müllcontainer, in dem wir die
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