Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
blutverschmierten Laken meiner Eltern zusammen mit meinen und Ritas Kleidungsstücken entsorgen. In meinem Rucksack befinden sich Klamotten zum Wechseln, und Jerry fallen fast die Augen aus dem Kopf, als Rita sich bis auf die Unterwäsche auszieht und ihre Kleidung überstreift. Aus irgendeinem Grund hat er kein Interesse daran, mir beim Ausziehen zuzusehen.
Während Jerry uns aus Monterey herausfährt, fällt mir plötzlich ein, dass Annie nur fünf Minuten von hier entfernt wohnt. Ich überlege, wie einfach es wäre, zu ihr zu fahren. Dann könnte ich ihr sagen, dass es mich noch gibt und dass ich sie liebe. Ich sehe mich schon vor der Haustür stehen, während ich ihr Gesicht betrachte, nachdem sie mir geöffnet hat. Doch das würde bloß noch mehr Probleme bedeuten, nicht nur für Annie, sondern auch für mich und meine momentane Notlage. Das Letzte, was ich möchte, ist, dass meine ehemalige Schwägerin und
ihr Mann mitkriegen, dass ich in der Gegend war. Das würde meine Tarnung mit ziemlicher Sicherheit auffliegen lassen.
Doch auch abgesehen davon halte ich es für keine gute Idee, Annie zu besuchen.
Erstens bin ich eigentlich nicht mehr ihr Vater. Das weiß ich jetzt. Wenn du deine Eltern getötet und verspeist hast, wird dir das wahre Wesen deiner Existenz bewusst. Es ist besser für Annie, sie behält mich so in Erinnerung, wie ich mal war. Als Menschen. Als liebevollen Vater und guten Sohn. Zweitens wäre es nicht zuträglich, sie mit dem zu konfrontieren, was aus mir geworden ist, weder für mich noch für sie. Ich wüsste gar nicht, was ich sagen oder wie ich mich verhalten sollte oder was für eine Rolle ich in ihrem Leben spielen könnte.
Außerdem ertrage ich den Gedanken nicht, dass ich mich beim Anblick meiner Tochter womöglich frage, wie sie wohl in einem Spargel-Käse-Auflauf schmeckt.
KAPITEL 41
Ein leckeres Rezept, um Menschenfleischreste zu verarbeiten: Man vermenge miteinander 250 g gekochte Makkaroni, 750 ml Tomatensoße aus der Dose, zwei bis drei Tassen gekochte Menschenfleischwürfel, 125 g gedünstete, in Scheiben geschnittene Pilze, eine fein gehackte Knoblauchzehe, Salz und Pfeffer. Die Mischung verteile man mit einem Löffel in einer zweieinhalb Liter fassenden Auflaufform, bestreue sie mit geriebenem Käse und lasse das Ganze 30 Minuten lang unbedeckt bei 140 Grad im Ofen, bis es Blasen wirft. Das ergibt ungefähr sechs Portionen.
Außer meinem Mitternachtsmahl mit Rita letzten Sonntag habe ich in den letzten drei Tagen jeweils drei anständige Mahlzeiten aus Menschenfleisch zu mir genommen. Menschenfleischspeck, Menschenfleisch-Burritos, Menschenfleisch-Käse-Sandwich, Menschenfleischbraten, Menschenfleisch-Burger, Menschenfleischgehacktes, Menschenfleisch Stroganoff, Teriyaki-Menschenfleisch, Spaghetti mit Menschenfleischbällchen und einen klassischen Menschenfleischeintopf.
Und das merkt man.
Mein linker Knöchel ist zwar noch ein wenig wacklig, und ich bewege den Fuß nach wie vor etwas ruckartig, doch abgesehen davon spüre ich zwischen linkem und rechtem Fuß keinen körperlichen Unterschied mehr. Schien-,
Waden- und Sprungbein sowie die Bänder scheinen wieder vollkommen angewachsen zu sein.
Neben meinem Fußgelenk ist auch mein linker Arm wieder einsatzbereit und bildet von Tag zu Tag neue Muskelmasse und Knochen, außerdem haben sich meine Fäden komplett gelöst. Das Make-up, das meine Mutter mir gekauft hat, steht unbenutzt und verwaist auf dem Abfalleimer.
Obwohl ich immer noch eine käsige Gesichtsfarbe habe, sind die Grautöne inzwischen verschwunden. Mein Herz schlägt jetzt zwölfmal in der Minute, was, seit es angefangen hat zu schlagen, eine Steigerung um hundert Prozent bedeutet. Wenn das in dem Tempo weitergeht, schlägt es an Weihnachten sechzigmal pro Minute.
Ich schwitze. Ich spreche. Ich atme, durch meine Venen pulsiert Flüssigkeit, und ein halbes Dutzend anderer Körperfunktionen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie je wieder ausführen könnte, werden reaktiviert. Doch was die Veränderungen in meinem Innern betrifft, wundert mich inzwischen nichts mehr. Jetzt geht es vor allem darum, zu akzeptieren und zu verstehen, was mit mir geschieht. Was mit uns allen geschieht.
Wir genesen. Entwickeln uns zu einer Unterart der Menschen. Den Neo-Atmern. Den selbstheilenden lebenden Toten. Und wenn Rita und ich schon der Beweis dafür sind, was passiert, wenn man täglich frisches Menschenfleisch isst, kann ich es kaum abwarten, Mom und Dad mit
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