Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
beißenden Dezemberkälte strömt ihr Name als zarte Dunstwolke aus meinem Mund, die sich verflüchtigt, bevor sie ihren Grabstein erreicht.
Ich sage Rachel, wie sehr ich sie liebe. Wie leid es mir tut, dass sie gestorben ist. Dass ich mir wünsche, alles hätte ein anderes Ende genommen. Ich erzähle ihr von Rita und Ray und von dem Wildfleisch, das in Wirklichkeit kein Wildfleisch war. Und von meinen Eltern. Also, nicht alles. Die Sache mit dem Schokoladen-Fondue behalte ich für mich.
Man sagt, dass die Beichte Balsam für die Seele ist. Allerdings weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine habe. Wenn ja,
hat sie wahrscheinlich meinen Körper verlassen, als ich gestorben bin. Oder sie war die ganze Zeit da. Vielleicht ist sie in einem toten Gefäß gefangen, im Fegefeuer des toten Fleisches, und wartet auf eine zweite Chance. Doch was für Sünden ich als Atmer auch begangen haben mag, dass man mich ins Zombie-Gefängnis gesteckt hat - ich glaube nicht, dass ich vor dem Bewährungsausschuss eine besonders gute Figur mache. Ich glaube nicht, dass man mich wegen tadelloser Führung vorzeitig entlässt.
Als ich mit meiner Beichte fertig bin, wird mir klar: Das war’s. Es ist das letzte Mal, dass ich Rachels Grab aufgesucht habe, um mich an unser gemeinsames Leben zu erinnern. Und auch wenn ich weiß, dass ich nach vorne schauen muss, fällt es mir schwerer, als ich gedacht hätte. Schwerer, als mich von meinen Eltern zu verabschieden. Schwerer, als mich von Annie zu verabschieden.
Zum ersten und letzten Mal weine ich um meine tote Frau.
Gerade als ich mich endgültig von Rachel verabschiedet habe, bricht am südlichen Ende des Friedhofs etwas durchs Gestrüpp. Ich habe keine Ahnung, wer oder was das ist, doch es ist mehr als ein Paar Füße, was da in meine Richtung gerannt kommt.
Ich gehe hinter Rachels Grabstein in Deckung, der allerdings nicht groß genug ist, um sich dahinter zu verstecken. Meine ehemaligen Schwiegereltern haben ihrer Tochter, als sie noch lebte, nie viel Beachtung geschenkt, darum ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie sich nach ihrem Tod treu geblieben sind. Ich nehme mir vor, sie zu verspeisen, falls das überhaupt möglich ist, dann hocke ich mich hin, in der Hoffnung, dass derjenige, den ich da gehört habe, mich nicht gesehen hat.
Hinter dem Hauptgebäude verschwinden zwei Gestalten, kommen auf der anderen Seite wieder zum Vorschein und laufen zwischen den Grabsteinen und Bäumen an mir vorbei. Selbst in der Dunkelheit kann ich erkennen, dass es sich um Zack und Luke handelt. Sie schauen kein einziges Mal in meine Richtung und rennen weiter, bis sie die nördlichste Ecke des Grundstücks erreicht haben, an der Rückseite des Friedhofs, wo ein alter, mit Schindeln bedeckter Holzschuppen steht, der zu beiden Seiten von efeubewachsenen Eichen eingerahmt wird. Kurz darauf kriechen sie durch eine Öffnung und verschwinden aus meinem Blickfeld.
Ich habe nicht den Eindruck, dass sie Verstecken spielen.
Ich bleibe, wo ich bin, denn ich möchte nicht, dass mich ein möglicher Verfolger entdeckt. Doch nach ein paar Minuten komme ich zu dem Schluss, dass, wovor Zack und Luke auch immer geflohen sind, ihnen nicht so weit gefolgt sein kann. Vielleicht wurden sie auch gar nicht verfolgt. Vielleicht sind fortgerannt, weil etwas Schlimmes passiert ist.
Plötzlich frage ich mich, wo Ray steckt.
Ich würde ja die Zwillinge fragen, aber bisher haben sie nicht mehr als ein Grunzen, Summen oder Kichern von sich gegeben, darum muss ich es wohl selbst herausfinden.
In möglichst großem Abstand zur Straße arbeite ich mich durchs Gestrüpp am Rand des Soquel Creek entlang, bis ich den Getreidespeicher erreiche. Aber schon vorher kann ich Stimmen hören und Blinklichter sehen. Und Atmer. Jede Menge. Und als ich endlich einen Blick aufs Geschehen erhasche, begreife ich, wovor Zack und Luke fortgerannt sind.
Am Hintereingang des Speichers stehen mehrere Polizeiautos sowie ein Transporter der Animal Control, während zwei Scheinwerfer den Schauplatz erleuchten. Von meinem Standpunkt aus, hinter einem Dickicht aus Heidesträuchern, kann ich durch die offene Tür in den Speicher blicken, aus dem gerade ein Polizeibeamter gewankt kommt, der zu einem der Wagen taumelt und sich übergibt.
Fast alle dort tragen Atemschutzmasken oder drücken sich irgendwas auf Mund und Nase. Auch wenn ich nicht alles verstehe, was gesagt wird, höre ich Begriffe und Ausdrücke wie »Blutbad«, »verstümmelte
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